Steuergesetz bedroht Aktien- und Terminmarkt
Von Angela Wefers, Berlin In der Beschreibung zum Gesetzentwurf klingt die Neuregelung ganz harmlos. Von “Gestaltungsbekämpfung” ist die Rede und der “Aktualisierung” des Kapitalertragsteuerabzugs. Tatsächlich aber plant die Bundesregierung einen weitreichenden steuerlichen Eingriff in den Aktien-, Anleihe- und Terminmarkt. Mit dem Entwurf des Jahressteuergesetzes 2019, das die flockig-leichte Überschrift “Förderung der Elektromobilität” trägt, sollen in einer ganzen Reihe von Finanzgeschäften Verluste und Kosten bei der Kapitalertragsbesteuerung künftig nicht mehr verrechenbar sein. Gewinne unterliegen dagegen voll der Besteuerung. Massiver Widerstand Im Bundesrat hat sich gegen das Vorhaben massiver Widerstand formiert. Die Länderkammer beschloss Ende September ihre Stellungnahmen zum Entwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Sie forderte den Bund kurz und knapp auf, die neue Passage zu streichen. Auch im Bundestag gibt es inzwischen Bewegung, die Regelung fallen zu lassen oder zumindest zu entschärfen. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs meldete der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion, Olaf Gutting (CDU), Diskussionsbedarf über diesen Punkt an. Auf den Versuch des “Überreitens” der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Anerkennung steuerlicher Verluste “bei Ausfällen von Kapitalforderungen oder bei Wertlosigkeit von Aktien” sei ein besonderes Augenmerk zu richten. “Darüber müssen wir noch einmal sprechen”, sagte Gutting. Die Rechtsprechung des BFH erscheine ihm nachvollziehbar und logisch. “Es ist nicht ganz zu verstehen, warum wir darüber hinwegreiten wollen”, sagte der CDU-Politiker. Die SPD-Fraktion hat das Thema mittlerweile auch im Visier. Deren finanzpolitischer Sprecher, Lothar Binding, ging zumindest nicht in völlige Abwehrhaltung.Worum geht es genau? Die Bundesregierung reagiert mit dem Entwurf auf eine Reihe von Entscheidungen des BFH. Die Richter hatten in verschiedenen Urteilen die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten bestätigt. Dies will der Bundesfinanzminister nun zurückdrehen. Im Einzelnen betrifft es die BFH-Entscheidungen zur steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten aus Termingeschäften, insolvenzbedingter Forderungsausfälle, von Verlusten aus der Veräußerung wertloser Aktien und von Verlusten aus Knock-out-Zertifikaten (siehe Kasten). Verfassungsbedenken Die Neuregelung sieht vor, dass Verluste von Aktien und Anleihen im Fall einer Insolvenz künftig nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden dürfen. Dasselbe gilt für den Verfall nicht genutzter Optionsscheine. Der Bundesrat argumentiert mit Blick auf die Änderung für Totalverluste im Insolvenzfall, dass – anders als der Gesetzentwurf es suggeriere – nicht nur hochspekulative Anlagen von derartigen Verlusten betroffen seien. Auch klassische Kapitalanlagen wir Finanzierungsdarlehen würde die Neuregelung erfassen. Die Länderkammer hält es verfassungsrechtlich für bedenklich, dass sämtliche realisierten Wertzuwächse bei Kapitalanlagen weiterhin der Besteuerung unterworfen werden, während dieses für Verluste nur noch bis zu einem gewissen Grad gilt. Ist der Kapitalstamm wertlos geworden, ist die steuerliche Berücksichtigung demnach ausgeschlossen. Auch die Veräußerung solcher wertlos gewordener Kapitalanlagen soll künftig steuerlich keine Rolle mehr spielen. “Stoppt den Steuerirrsinn!” Die Finanzbranche ist besorgt. Der Geschäftsführer des Deutschen Derivate Verbands (DDV), Hennig Bergmann, hält die Pläne der Bundesregierung mit Blick auf die Risikostreuung in Depots und die Notwendigkeit, privat für das Alter vorzusorgen, für besorgniserregend. Gerade in der Niedrigzinsphase sei damit die Absicherung von Depots im Portfoliomanagement in Gefahr. Bei Unternehmen in Schieflage gerieten deren Aktien und Anleihen unter Verkaufsdruck. Denn Kursverluste können Anleger noch steuerlich geltend machen, Totalverluste dagegen künftig nicht mehr.Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ruft auf ihrer Internetseite zu einer Unterschriftenaktion unter dem Motto “Stoppt den Steuerirrsinn!” auf – unter anderem wegen der Pläne von Scholz, die steuerliche Anrechenbarkeit erlittener Verluste aufgrund von Totalausfällen auszuschließen. Vor allem private, langfristige Anleger von Aktien und Anleihen seien getroffen, argumentiert die DSW. Diese könnten anders als institutionelle Anleger nicht so schnell ein sinkendes Schiff verlassen. Anhörung im BundestagDie FDP im Bundestag hat das Thema der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Gewinnen und Verlusten bei Kapitalanlagen schon länger im Visier. Sie hat verschiedene parlamentarische Anfragen dazu gestellt. Die Regierung argumentierte darauf, Gewinne aus hochspekulativen Termingeschäften müssten besteuert werden, damit nicht Kapitalerträge über Derivate der Besteuerung entzogen würden. Gehe die Spekulation nicht auf, dürfe aber die Allgemeinheit nicht mit den Kosten beim Verfall einer Option belastet werden.Am nächsten Montag hört der Finanzausschuss des Bundestags öffentlich Experten zum Jahressteuergesetz an. Der SPD-Finanzpolitiker Binding zeigte sich zuletzt im Bundestag zwar offen für die Diskussion, er hält es aber für problematisch, Verluste dann anzuerkennen, wenn sie zu Spekulation einladen. “Wir müssen hochsensibel sein und gemeinsam überlegen, was zu tun ist”, sagte Binding.