Streit über Notbremse geht weiter
sp Berlin
Während Mutationen des Coronavirus die Infektionsdynamik in Deutschland rasant nach oben treiben, streiten Bund und Länder über die Anwendung der gemeinsam verabredeten Notbremse. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend im Rahmen eines seltenen Auftritts in der ARD-Talksendung „Anne Will“ die Ministerpräsidenten aufgefordert hatte, die Beschlüsse von Anfang März umzusetzen und bei einer Sieben-Tages-Inzidenz oberhalb von 100 zu den vor dem 8. März geltenden Einschränkungen zurückzukehren, beharrten einige Länderchefs am Montag auf einer eigenen Auslegung der Notbremse.
CDU-Chef Armin Laschet, den Merkel in seiner Rolle als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (NRW) als ein Beispiel der Länderchefs genannt hatte, die die Notbremse nicht gezogen haben, wies die Kritik der Kanzlerin zurück. Anders als in anderen Ländern habe NRW eine flächendeckende Notbremse angeordnet, zu der strengere Kontaktbeschränkungen gehörten, sagte Laschet nach einer Videoschalte des CDU-Präsidiums. Zugleich beharrte er darauf, dass Landkreise das „Click & Meet“-Modell etwa im Einzelhandel auch nach Überschreiten des Inzidenz-Grenzwertes anwenden können, solange dies mit einer Testpflicht verbunden ist.
Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) wehrte sich gegen Kritik der Bundeskanzlerin, die sich in der ARD verwundert über die Pläne für weitere Öffnungsschritte nach Ostern im Saarland gezeigt hatte. Diese Lockerungen würden den Beschlüssen der Bund-Länder-Runde entsprechen, solange sie mit vermehrtem Testen verbunden seien, entgegnete Hans. Die saarländische Landesregierung will das ganze Bundesland zu einer Modellregion erklären und weitere Lockerungen zusammen mit einer Testpflicht einführen, solange die Inzidenz 100 nicht übersteigt. Der Regierende Berliner Oberbürgermeister Michael Müller (SPD) wies die Kritik der Kanzlerin ebenfalls zurück.
Gesetzesverschärfung möglich
Rückendeckung erhielt Merkel aus dem SPD-geführten Bremen. Es sei nicht die Zeit für Lockerungen und Modellprojekte, sagte der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) im Deutschlandfunk. „Wir müssen die bestehenden Beschlüsse umsetzen.“ Auch die Länderchefs aus Bayern, Brandenburg, Sachsen und Hamburg sprachen sich für einen härteren Kurs aus. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonten, dass sie keine Einwände gegen eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes hätten. Dies hatte Merkel für den Fall in Aussicht gestellt, dass einige Länder die Notbremse weiterhin nur antippen, statt fest an ihr zu ziehen. CDU-Chef Laschet, der sich irgendwann zwischen Ostern und Pfingsten mit Söder auf einen Kanzlerkandidaten der Union verständigen will, äußerte sich dazu skeptisch.
Merkels Forderung nach zusätzlichen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen stieß ebenfalls auf geteiltes Echo in den Ländern. Bremen verwies auf Studien, wonach eine Ausgangssperre nichts bringe. Bayern verwies auf Erfolge in anderen europäischen Staaten mit nächtlichen Ausgangssperren. Das SPD-geführte Brandenburg führte Ausgangsbeschränkungen am Wochenende ein. In Bayern, Thüringen, Baden-Württemberg und Sachsen gibt es sie punktuell. In Rheinland-Pfalz werden nächtliche Ausgangssperren ebenfalls umgesetzt.
Das Robert Koch-Institut meldete am Montag 9872 Corona-Neuinfektionen und damit 2163 mehr als vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 134,4. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen angesteckt haben.
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