Streit über Subventionen und falsche Versprechen
Von Stefan Reccius, Genf
Angesichts heftiger Verwerfungen auf den Weltmärkten für Agrarprodukte rückt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in den Fokus. Auf dem Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) haben Handelsminister aus mehr als 100 Staaten vor wenigen Tagen beschlossen, mit einem Verzicht auf Exportschranken das Welternährungsprogramm (WFP) zu stärken. Unterdessen will die Bundesregierung ihre Milliardenhilfe laut Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in diesem Jahr „möglichst übertreffen“.
Die Zusagen an das Welternährungsprogramm sind auch ein Versuch, tiefsitzende Differenzen in der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik zu übertünchen. Hintergrund ist die aufziehende globale Nahrungsmittelkrise. Die Weltmärkte für Agrarrohstoffe und wichtige Komponenten wie Düngemittel sind infolge des Ukraine-Kriegs teilweise kollabiert, Preise stark gestiegen. Dürren tun ein Übriges. Zig Millionen Menschen drohen Hungersnöte.
Das WFP ist nach eigenen Angaben die größte humanitäre Organisation der Welt. Es verfügt über ein milliardenschweres Budget. Die Bundesregierung hat die Organisation nach Angaben von Entwicklungsministerin Schulze 2021 mit 1,2 Mrd. Euro unterstützt und ist zweitgrößter Geber.
Die 164 Mitglieder der Welthandelsorganisation haben bei ihrem Gipfeltreffen in Genf vereinbart, keine Ausfuhrverbote oder -beschränkungen für Nahrungsmittel zu verhängen, die das Welternährungsprogramm für nichtkommerzielle humanitäre Zwecke kauft. Das WFP hat sich dafür strikte Selbstbeschränkungen auferlegt: Nahrungsmittel aus Ländern, die selbst eine Hungernotlage ausgerufen haben, sind tabu. Seine Hilfslieferungen dürfen im Krisenfall Produkte aus heimischer Produktion nicht verdrängen. Die Organisation setzt deshalb häufig auf Bargeld und Gutscheine anstatt physischer Lebensmittellieferungen.
Diese Herangehensweise teilen nicht alle Regierungen. Allen voran Indien will weitreichende Ausnahmen in der Agrarpolitik. Indische Behörden kaufen kleinen Betrieben Reis und andere Grundnahrungsmittel zu vorab festgelegten Preisen ab, die zum Teil weit über den Marktpreisen liegen. Für Kleinbetriebe, die es in Indien zuhauf gibt, ist das ihre Lebensversicherung. Die indische Regierung will bei der WTO erreichen, Teile dieser Vorräte für schlechte Zeiten exportieren zu dürfen. Das ist auch im Interesse anderer Schwellen- und Entwicklungsländer.
Gegen Indiens Forderung, die Regeln für Nahrungsmittelausfuhren zu schleifen, formierte sich beim WTO-Gipfel massiver Widerstand. Es handele sich um unerlaubte Exportsubventionen, die seit einigen Jahren verboten sind, hieß es in Verhandlungskreisen, die Indiens Anliegen ablehnen. Das Thema sei von großer Bedeutung, auch weil es die Weltmarktpreise für Agrarrohstoffe beeinflusse, sagt ein Insider.
Indiens Frust über die EU
Im Falle Indiens spielt Frust über nicht erfüllte Versprechen eine Rolle. Als die WTO-Mitglieder vor zwei Jahrzehnten eine später gescheiterte Liberalisierung des Agrarhandels auf den Weg brachten, stellten die Europäische Union und die USA den Abbau von Subventionen in Aussicht. Im Gegenzug sollten Schwellenländer auf Schutzzölle für ihre heimischen Industrien verzichten, beispielsweise in Landwirtschaft und Fischerei. Die EU und die USA hätten sich daran nicht gehalten und Subventionen eher noch ausgeweitet, klagte in Genf die indische Seite. Sie verweist etwa auf Steuererleichterungen auf Benzin für Fischer in der EU. Selbst aufseiten der deutschen Wirtschaft schimmerte am Rande des WTO-Gipfels Verständnis für Indiens Klagen durch. Tage- und nächtelange Versuche einer Einigung sind fehlgeschlagen.
Martin Frick, der das Berliner Büro des Welternährungsprogramms leitet, sagt: „Wir müssen die Abhängigkeiten von günstigen Importen aufbrechen, die vielen Ländern gerade zum Verhängnis werden.“ Die Organisation Brot für die Welt vermisst nach dem WTO-Gipfel allerdings konkrete Vorschläge, wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsmittelimporten werden. „Im Mittelpunkt der Erklärung zur Ernährungssicherheit steht wieder mal der altbekannte Aufruf zur Vermeidung von Exportrestriktionen“, sagte Francisco Marí, Agrarhandelsexperte von Brot für die Welt. Dies sei der stetige Ruf der großen Agrarexporteure, Märkte offen zu halten.