SORGE UM SCHWELLENLÄNDER - IM INTERVIEW: KLAUS-JÜRGEN GERN

"Strukturelle Probleme durch Missmanagement"

Der IfW-Experte über die Lage der Schwellenländer

"Strukturelle Probleme durch Missmanagement"

– Herr Gern, die Türkei steckt in der Krise. Kann Ankara die Wende noch allein schaffen oder braucht es Hilfe von außen?Die Türkei hat in den vergangenen Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Eine Konsolidierungsphase ist erforderlich, um eine Rezession kommt die Türkei wohl nicht herum. Fraglich ist nur, wie stark diese ausfällt. Um die derzeitige Abwärtsspirale an den Finanzmärkten zu beenden, braucht es glaubwürdige Signale der Regierung, dass sie bereit und in der Lage ist, die wirtschaftliche Entwicklung auf eine nachhaltige Basis zu stellen. Dazu gehören aktuell wohl auch Zinserhöhungen. Um Glaubwürdigkeit zu schaffen, wäre ein Beistandspakt mit dem IWF hilfreich, da er kurzfristig Liquidität sichern und mittelfristig für eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik bürgen würde. – Wie groß ist die Gefahr, dass die Türkei-Krise auf andere Schwellenländer überschwappt? Droht gar eine Schwellenländer-Krise?Anlagen in Schwellenländern stehen gegenwärtig auf dem Prüfstand. Die Situation der Länder unterscheidet sich hinsichtlich der Fundamentalfaktoren wie Leistungsbilanzsaldo, Verschuldung in ausländischer Währung, Fristigkeit der Verbindlichkeiten oder politisches Umfeld aber erheblich. Die Türkei ist im Zusammenklang der Faktoren ein Sonderfall. Ein genereller Abzug von Kapital aus den Schwellenländern wie Ende der 1990er Jahre infolge der Asienkrise ist nicht wahrscheinlich. – Welche Schwellenländer sind besonders anfällig – und warum?Besondere Risiken bestehen vor allem für Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten und schwachen Staatsfinanzen, die auf Kapitalzuflüsse angewiesen sind, um ihr Ausgabenniveau zu halten. Dies gilt etwa für Südafrika und Pakistan und nicht zuletzt für Argentinien, das bereits im Frühjahr an den Finanzmärkten stark unter Druck geraten war. – Inwiefern sind die Probleme hausgemacht oder aber Folge externer Faktoren wie der US-Zinswende oder der Handelskonflikte?Die strukturellen Probleme in einer Reihe von Schwellenländern sind zu großen Teilen hausgemacht und auf politisches Missmanagement zurückzuführen. Die gegenwärtige Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen ist aber auch durch den Anstieg der US-Notenbankzinsen bedingt. Er hat die Attraktivität der Schwellenländermärkte relativ verringert und zu dem Umschwung bei den Kapitalströmen beigetragen. Die Handelskonflikte haben zusätzliche Risiken erzeugt und die Neigung der Investoren, Kapital in Schwellenländer anzulegen, wohl weiter reduziert. Die Bedeutung dieses Faktors ist aber schwer abzuschätzen.- Was müssen die Länder jetzt tun?Eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik, verlässliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen und eine hinreichende technische und soziale Infrastruktur sind wichtige Voraussetzungen, um langfristiges Auslandskapital, insbesondere Direktinvestitionen, anzuziehen – womit die Gefahr einer kurzfristigen Umkehr der Kapitalströme verringert wird. Es gibt aber bislang offenbar kein Patentrezept, das einen plötzlichen Umschwung der Kapitalströme verhindern würde.- Muss die Weltwirtschaft künftig mit weniger Impulsen aus China & Co. auskommen?Der Beitrag der Schwellenländer zum Wachstum der Weltwirtschaft ist in den vergangenen Jahren bereits gesunken. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft hat sich strukturell verlangsamt, und es besteht hier wie in einigen anderen Schwellenländern Konsolidierungsbedarf, der die Dynamik absehbar bremsen dürfte.- Könnte eine Krise in den Schwellenländern gar eine neue globale Finanzkrise auslösen?Dieses Risiko erscheint gering. Die Kapitalbasis der großen Banken ist in der Regel hinreichend wiederhergestellt, und Mechanismen, wie sie für die globale Finanzkrise verantwortlich waren, dürften durch Kreditausfälle in Schwellenländern nicht ausgelöst werden. —-Die Fragen stellte Mark Schrörs.