LEITARTIKEL

Stunde der Wahrheit

Nach mehreren Anläufen hat Italien endlich eine neue Regierung. Sie unterscheidet sich sowohl mit ihrem unverantwortlichen und unfinanzierbaren Programm als auch personalpolitisch so gut wie gar nicht von der Mannschaft, der Staatspräsident Sergio...

Stunde der Wahrheit

Nach mehreren Anläufen hat Italien endlich eine neue Regierung. Sie unterscheidet sich sowohl mit ihrem unverantwortlichen und unfinanzierbaren Programm als auch personalpolitisch so gut wie gar nicht von der Mannschaft, der Staatspräsident Sergio Mattarella erst vor einigen Tagen seine Zustimmung verweigert hatte. Hauptunterschied: Der Euro- und Deutschlandkritiker Paolo Savona wird nicht Wirtschaftsminister.Dass er ausgerechnet Europaminister wird, entbehrt nicht der Ironie. Und der neue Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria teilt die Positionen Savonas weitgehend. Es bleibt unverständlich, warum Mattarella diesmal akzeptiert, was er gerade noch abgelehnt hat.Die Regierung ist demokratisch gewählt und hat eine klare Mehrheit der italienischen Bevölkerung hinter sich. Daran kann es keinen Zweifel geben. Dennoch sind das alles keine guten Nachrichten – weder für Deutschland noch für Europa und schon gar nicht für Italien. Vor allem die Lega schürt gezielt eine deutschlandfeindliche Stimmung. Würde das Regierungsprogramm, das mehr als 100 Mrd. Euro im Jahr kosten würde und für das es keine Gegenfinanzierung gibt, auch nur in Ansätzen umgesetzt, wäre das eine Katastrophe. Finanzieren sollen es die reichen Deutschen oder sonst wer.Doch es sind vor allem die Italiener, die die Zeche für eine unverantwortliche Politik zahlen müssten, die sie selbst gewählt haben. Das ist schade. Denn die Wirtschaft zeigt ermutigende Zeichen der Erholung. Eine Million neue Jobs wurden in den letzten Jahren allein im produzierenden Gewerbe geschaffen, die Industrie investiert kräftig, die Exporte explodieren, Italien weist einen deutlichen Handelsbilanzüberschuss aus. Das Land hat viele äußerst erfolgreiche Unternehmen, vor allem mittelständische Familienbetriebe. Diese extrem positive Entwicklung droht nun dramatisch ausgebremst zu werden. Die Märkte haben auf die Bildung der neuen Regierung, die am Freitag vereidigt wurde, erst einmal positiv reagiert. Die Börsenkurse schossen nach oben, der Spread zwischen deutschen und italienischen Zehnjahresanleihen ging auf 220 Basispunkte zurück. Doch das kann nur ein Zwischenhoch sein. Die Märkte dürften nervös bleiben. Die Finanzierungskosten des Landes mit der zweithöchsten Verschuldung in der Eurozone sind zuletzt deutlich gestiegen. Der Staat musste für neue Anleihen wesentlich höhere Zinsen zahlen. Die Ratingagentur Moody’s hat zwölf Banken des Landes unter Beobachtung gestellt. Eine Herabstufung ihres Ratings ist möglich. Das wäre dramatisch, denn die Institute, die auf großen Beständen ausfallgefährdeter Kredite und italienischer Bonds sitzen, sind noch immer fragil. Eine Katastrophe aber wäre eine Herabstufung der italienischen Anleihen auf Ramschniveau. Damit hat Moody’s gedroht. Eine solche Entscheidung hätte unabsehbare Folgen und könnte dem Projekt Europa den Todesstoß versetzen – ausgerechnet in einer Phase politischer und wirtschaftlicher Krisenherde allüberall.Nun wird Essen selten so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und der neue Wirtschaftsminister gibt sich zumindest im Ton moderater. Aber zumindest einen Teil der angekündigten Maßnahmen muss die neue Regierung umsetzen, wenn sie gegenüber ihren Wählern glaubwürdig bleiben will. Eine ganz zentrale Rolle wird die Europäische Zentralbank (EZB) spielen. Für die von einem Italiener geleitete Notenbank ist dies die Stunde der Wahrheit. Beendet sie ausgerechnet jetzt ihr Aufkaufprogramm für Staatsanleihen, könnte das für Italien schlimme Folgen haben. Und was passiert, wenn die Ratingagenturen italienische Bonds auf Ramschniveau setzen? Dann darf die EZB italienische Staatspapiere nach ihren Regeln gar nicht mehr aufkaufen. Aber sind die Banken des Landes stark genug oder drohen nun eine Kreditklemme und eine Entwertung von Spareinlagen und Vermögen?Das sind Schlüsselfragen, deren Lösung davon abhängt, wie verantwortungsvoll die neue Regierung agiert. Deutschland sollte nun nicht mit ungeschickten und unsensiblen Bemerkungen weiter Öl ins Feuer gießen. Auf wirtschaftliche Fakten und Wahrheiten dürfen und müssen Brüssel und Berlin aber hinweisen, wenn sie mit italienischen Regierungsvertretern zu tun haben. Wie die italienische Regierung dann entscheidet, muss sie selbst wissen. Doch Italien kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben und von den wirtschaftlichen Vorteilen der EU profitieren, aber so tun, als sei es politisch völlig unabhängig.—–Von Gerhard BläskeZumindest einen Teil der angekündigten Maßnahmen muss Italiens neue Regierung umsetzen, will sie bei ihren Wählern glaubwürdig bleiben.—–