Konjunktur

Trügerisches Auftragsplus

Die deutsche Industrie erholt sich zwar vom jüngsten Auftragseinbruch, aber nicht so stark wie erwartet. Zudem stockt die Produktion – und die Lieferkettenprobleme nehmen laut einer Umfrage zu.

Trügerisches Auftragsplus

ba/rec Frankfurt

Die Neuaufträge für die deutsche Industrie sind im September hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das vor allem auf Großaufträgen beruhende Bestellplus von 1,3% konnte nicht annähernd den Auftragseinbruch im August wettmachen. Aus den rückläufigen Orderzahlen aus dem Inland sowie den Euro-Ländern schließen Ökonomen, dass Unternehmen wegen der Lieferschwierigkeiten wohl mittlerweile mangels Erfolgsaussichten oder zu langer Lieferzeiten auf Bestellungen – zumindest vorerst – verzichten. Zudem haben sich die Probleme in den Lieferketten laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelkammerstags (DIHK) sogar noch verschärft. „Das internationale Geschäftsumfeld wird ungemütlicher“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.

Ökonomen werteten die gestern veröffentlichten Daten zum Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe nur bedingt positiv. Denn nicht nur, dass sie ein Plus von 2,0% erwartet hatten, zudem revidierte das Statistische Bundesamt (Destatis) den Rückgang vom August deutlich nach unten: statt der ursprünglich gemeldeten 7,7% hatte das verarbeitende Gewerbe im Monatsvergleich 8,8% weniger Neuaufträge eingesammelt. Und erneut waren es die Großaufträge, die für Schwung sorgten: Ohne diese volatile Größe stieg das Auftragsvolumen um 0,2%.

Großaufträge sorgen für Plus

Sein Urteil „verhalten positiv“ begründet Elmar Völker von der LBBW mit den deutlich ins Stocken geratenen Inlandsbestellungen. Sie sind den dritten Monat in Folge gesunken, diesmal um 5,9%. Aus dem Euroraum gingen 7,3% weniger Aufträge als im August ein. Den Ausschlag für das Gesamtplus gab laut Wirtschaftsministerium die starke Nachfrage aus dem Nicht-Euroraum (+14,9%). Dafür waren vor allem Großaufträge im Maschinenbau ursächlich. Insgesamt legten die Auslandsaufträge um 6,3% zu. Das Ministerium konstatierte ein „hohes Niveau“ der Bestellungen insgesamt, die im dritten Quartal ihr Vorkrisenniveau vom vierten Quartal 2019 um gut 13% übertroffen hätten.

Die Ökonomen sind sich aber auch einig, dass die Ausgangslage weiter positiv ist. Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, verwies etwa darauf, dass sich der Auftragsbestand in den vergangenen Monaten besser entwickelt hat als die Umsätze – auch unter Berücksichtigung des deutlichen Orderrückgangs im August. Laut Destatis ist der Umsatz im September um 0,3% im Monatsvergleich gesunken. Im August betrug das Minus revidiert 5,8 (zunächst: 5,9)% zum Vormonat. „So voll also die Auftragsbücher sind, in den Unternehmensbilanzen wird sich dies vorerst nicht in voller Gänze bemerkbar machen“, betonte Gitzel. Der Auftragsbestand ist seit Juni 2020 stetig gestiegen, im August 2021 war er auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erhebung Anfang 2015. Die Produktion ist angesichts der Reichweite von derzeit 7,3 Monaten bis in das kommende Jahr hinein gesichert. Mangels Material allerdings kann die Industrie die Aufträge nicht abarbeiten, zudem sind die Materiallager leer gefegt.

„Nie erlebte Diskrepanz“

DIHK-Außenwirtschaftschef Treier sagte gestern, die Diskrepanz zwischen Auftragseingang und Produktion habe eine Dimension erreicht, „die wir noch nicht erlebt haben – und sie schließt sich nicht. Die Produktion kann nicht Schritt halten.“ Der ohnehin beträchtliche Preisdruck auf die Unternehmen werde eher noch steigen und bis auf die Verbraucher durchschlagen. Eine halbjährliche Umfrage der Außenhandelskammern unter mehr als 3000 deutschen Unternehmen im Ausland zeigt, dass sich die Probleme in Lieferketten und Logistik weiter verschärft haben. Inzwischen sei mehr als jedes zweite international aktive deutsche Unternehmen davon betroffen.

Reiseeinschränkungen als meistgenannte Auswirkung der Coronakrise gehen laut Umfrage nur langsam zurück (siehe Grafik). Insbesondere in China ist mit anhaltenden Problemen zu rechnen. Dort haben sich die Konjunkturaussichten nach Wahrnehmung der Unternehmen im Vergleich zum Frühjahr deutlich eingetrübt.

Besser sieht es in der Eurozone aus. Dort haben die Geschäftserwartungen der Unternehmen zur Überraschung Treiers überdurchschnittlich zugelegt. Mittel-, Ost- und Südeuropa profitieren auch von dem Bestreben, Produktion näher an den Heimatmarkt zu holen. Das wird immer deutlicher: Inzwischen äußerten 15% zum Teil „ganz konkrete Pläne“, Produktionsstandorte zu verlagern. Das sei eine direkte Folge der Lieferkettenprobleme.

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