Türkei steuert auf Wachstumskrise zu
Der Putschversuch in der Türkei bremst das Wachstum kurzfristig und hat auch langfristig negative Folgewirkungen. Notwendige Reformen bleiben aus, weil der Staat die Zügel wieder fester in die Hand nimmt.lz Frankfurt – Die deutschen Unternehmen sorgen sich um die Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei. “Die Ereignisse in der Türkei erhöhen die Unsicherheit”, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. “Das schlägt unmittelbar auch auf die Geschäfte der deutschen Wirtschaft mit der Türkei durch.” Die Geschäftsanbahnung werde schwieriger, denn Reisen und Delegationen würden abgesagt oder zumindest verschoben.Am Freitagabend hatten Teile des Militärs versucht, die Macht an sich zu reißen. Im stundenlangen Chaos starben laut Regierung mindestens 290 Menschen, mindestens 190 von ihnen Zivilisten und Polizisten. Bislang wurden rund 3 000 Militärangehörige festgenommen und fast ebenso viele Richter und Staatsanwälte.Angesichts des Kursverfalls der Lira hat die türkische Notenbank bereits angekündigt, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die finanzielle Stabilität in der Türkei zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang stellte sie den Geschäftsbanken unbegrenzten Zugang zu Liquidität in Aussicht. Am heutigen Dienstag kommt das Direktorium zu seiner regelmäßigen geldpolitischen Lagebeurteilung zusammen. Mit einer erneuten Zinssenkung wird gerechnet.Allerdings befinden sich die Notenbanker angesichts hoher Inflationsraten und einer ohnehin schon schwachen Wirtschaftsentwicklung unabhängig vom Putsch schon in einer schwierigen Lage. Erst im Juni hatten sie die geldpolitischen Zügel weiter gelockert und senkten den Zins für Übernachtkredite um einen halben Punkt auf 9,0 %. Der Leitzins für einwöchiges Zentralbankgeld wurde auf 7,5 % belassen. Der frühere Notenbankgouverneur Erdem Basci hatte sich wegen der Preisentwicklung beharrlich gegen eine Lockerung gestemmt. Die Preise stiegen zuletzt um 6,58 %; die Notenbank peilt einen Wert von 5 % an. Murat Cetinkaya, der neue Gouverneur, folgte dann dem Wunsch von Staatspräsident Tayyip Erdogan nach einer Zinssenkung. Durch den Lira-Verfall könnte die Inflation weiter ansteigen und das Wachstum noch weiter einbrechen.Die Geschäftsaussichten haben sich nach Darstellung des DIHK bereits eingetrübt, ein Kapitalabfluss hat schon eingesetzt. Die Kaufkraft vieler türkischer Kunden verringere sich. Auch wichen viele Touristen bereits auf andere Ziele aus, da die Türkei als Urlaubsziel nicht mehr als sicher eingeschätzt werde. “Wichtig ist, dass rechtsstaatliche Prinzipien in der Türkei nun nicht aufgeweicht werden”, mahnt DIHK-Chef Schweitzer. “Nur so kann das Vertrauen von Investoren langfristig zurückgewonnen werden.”Allerdings scheinen derzeit alle politischen Bestrebungen in der Türkei darin zu bestehen, die liberalen Rechte, die auch für eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung notwendig sind, weiter zu beschneiden. Bereits zu Jahresanfang hatte die Industrieländerorganisation OECD Ankara wegen zu strikter bürokratischer Bestimmungen kritisiert, die die Wirtschaftsdynamik bremsten. Zudem sei ein Großteil der Beschäftigten in Unternehmen konzentriert mit schwacher Produktivität. Die einst versprochenen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit seien immer weiter verwässert worden.