Umfassender Emissionshandel statt CO2-Steuer
An Gutachten zur Klimapolitik, zur Besteuerung von Energieträgern oder deren Emissionen besteht kein Mangel. Kaum ein Industrieverband, eine NGO oder einschlägige Forschungseinrichtung, die nicht schon kluge Ratschläge entwickelt hätte, wie die Welt vor dem Klimawandel gerettet werden könnte – von den Gretas dieser Welt ganz zu schweigen. Nun also auch noch der Sachverständigenrat? Gottlob der Sachverständigenrat! Denn bisher herrscht bei Empfehlungen und bereits geltenden Abgaben ein heilloses Durcheinander. Eine halbwegs objektive, nicht von Lobby- oder ideologischen Interessen geleitete Analyse und Empfehlung zur Klimapolitik und zu deren Instrumenten war überfällig. Politisch überfrachtet Auftragsgemäß werden in dem Gutachten mehrere Handlungsoptionen zum Ziel diskutiert und für mehr oder weniger gangbar erklärt, je nach politischer Präferenz. Eher verhalten kommt der Hinweis, dass industrie- und regionalpolitische Ziele nicht mit klimapolitischen Instrumenten vermischt werden sollten und eine CO2-Bepreisung auch nicht der Generierung zusätzlicher Steuereinnahmen dienen sollte. Der nicht minder wichtige Hinweis, dass klimapolitische Instrumente auch nicht mit sozialpolitischen Zielen verknüpft werden sollten, fehlt leider. Es findet sich nur die Formulierung, dass eine aufkommensneutrale und sozial ausgewogene Ausgestaltung des CO2-Preises, wie es eine Rückverteilung der CO2-Einnahmen durch eine Kopfpauschale oder Stromsteuersenkung wäre, die Lenkungswirkung nicht beeinträchtigen sollte. Da bleibt viel Interpretationsspielraum. Einen Vorgeschmack auf die nun folgende Diskussion über die “richtige” CO2-Bepreisung gibt die Reaktion der IG Bergbau, Chemie und Energie BCE, die nicht von Klimaschutz, sondern von Klimagerechtigkeit spricht.Die Wirtschaftsweisen hätten etwas mehr Mut haben sollen. Zwar empfehlen sie eine Neuausrichtung der Klimapolitik, indem spätestens bis zum Jahr 2030 alle relevanten Sektoren in einen umfassenden europäischen Emissionshandel für Treibhausgase integriert werden sollten und damit nationale Klimaziele ersatzlos entfallen könnten. Doch auf dem Weg dahin halten sie neben einem separaten Emissionshandel für die bisher nicht im europäischen Emissionshandel bepreisten Treibhausgase aus den Bereichen Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft auch eine CO2-Steuer für möglich. Eine solche vorübergehende, später in den Emissionshandel zu überführende CO2-Steuer mag aus wissenschaftlicher Sicht eine Alternative sein, mit Blick auf die realpolitischen Verhältnisse ist sie es nicht. Denn eine CO2-Steuer müsste, damit sie ihren klimapolitischen Zweck erfüllt, ein “lernendes System” sein, das heißt immer wieder nachjustiert werden. Mit anderen Worten: Wir bekämen eine permanente Auseinandersetzung mit allen Interessengruppen dieser Republik über die richtige Anpassung der CO2-Steuer. Für Lobbyisten ein gefundenes Fressen, für den Klimaschutz eine große Gefahr. Ohne AusnahmenDeshalb wäre es klüger, nicht eine CO2-Steuer einzuführen, sondern die fürs Erreichen des Klimaziels zulässigen Emissionen und nötigen Emissionskürzungen festzulegen und die Emissionsrechte zu versteigern und zu handeln. Für etwa 40 % der europäischen Treibhausgase gibt es diesen Emissionshandel ja schon. Er sollte zügig auf alle Sektoren ausgeweitet werden. Denn nur das garantiert das Erreichen der Klimaziele. Aus europarechtlichen Gründen und weil es derzeit auch länder- und sektorspezifische Emissionsziele gibt, wäre zunächst neben dem bestehenden europäischen Emissionshandel ein zweites nationales Emissionshandelssystem mit separatem CO2-Preis zu etablieren, das später europäisch vereinheitlicht und in den bestehenden Emissionshandel integriert wird. Ausgleich für Preisverzerrung Wie bei jeder Regulierung und Bepreisung bisher freier Güter wird es einen Aufschrei der von künftigen Zahlungen betroffenen Branchen, Unternehmen und Personen geben. Doch Härten lassen sich ausgleichen, und zwar systemkonform, das heißt, ohne das Emissionsziel zu gefährden. Denn die Erlöse aus der Versteigerung der CO2-Emissionsrechte könnten zur Abschaffung der Stromsteuer wie auch der EEG-Umlage verwendet werden. Doppelbelastungen und Fehlanreize würden damit vermieden. Auch wäre es möglich, einen Teil der Erlöse über eine Pro-Kopf-Auszahlung zurückzugeben, wie dies in einigen anderen Ländern schon geschieht, um damit soziale Aspekte zu berücksichtigen. Oder diese Erlöse werden genutzt, um Investitionen für eine klimafreundliche Infrastruktur (Batterieladestationen, Wasserstofftankstellen, Heizungsaustausch) zu fördern. Auch für das Problem der durch nationale oder europäische CO2-Preise verzerrten internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gibt es eine Lösung. Sie heißt Grenzausgleichssystem und funktioniert ähnlich wie das Mehrwertsteuersystem: Exporte werden von der heimischen CO2-Bepreisung ausgenommen, umgekehrt werden Importe der heimischen CO2-Bepreisung unterworfen. Mit dem Aufbau eines solchen Systems könnte man die gegenwärtig praktizierte kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten ablösen, mit der bisher Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden.Natürlich gibt es große Unterschiede in der CO2-Intensität von Unternehmen. Deren tatsächliche Belastung hängt aber davon ab, wie gut die höheren CO2-Kosten über die Preise überwälzt werden können. Gelingt die Preisüberwälzung nicht, sinkt die Marge dieser Produkte und damit der Produktionsanreiz. Klimaziel erreicht. Gelingt die Preisüberwälzung, sind emissionsärmere Konsumgüter im Vorteil, und das Verbraucherverhalten wird im Sinne des Klimaschutzes beeinflusst. Fazit: Nur wenn Schadstoffausstoß einen Preis hat, kann Klimaschutz gelingen. Je weniger Ausnahmen es gibt, desto besser für das Klima. Klimapolitik taugt nicht zur Spielwiese für Industrie- und Sozialpolitiker. Sonst bleibt der Klimaschutz auf der Strecke. – c.doering@boersen-zeitung.de——Von Claus Döring Nur wenn Schadstoffausstoß einen Preis hat, kann Klimaschutz gelingen. Je weniger Ausnahmen es gibt, desto besser für das Klima.——