VON DER IWF-FRÜHJAHRSTAGUNG - IM GESPRÄCH: TOBIAS ADRIAN

"Unabhängigkeit der Zentralbanken nicht untergraben"

Der IWF-Kapitalmarktchef warnt vor politischer Einflussnahme auf die Geldpolitik, sorgt sich um Grenzen der EZB und plädiert für europäische Bankenfusionen

"Unabhängigkeit der Zentralbanken nicht untergraben"

Die Weltwirtschaft ist an einem heiklen Punkt angekommen, und die Politik muss einen Absturz verhindern. So lässt sich das Fazit der IWF-Frühjahrstagung zusammenfassen. Es geht vor allem um die Handelskonflikte und den Brexit. Aber viele Blicken richten sich auch auf die Geldpolitik – und deren Unabhängigkeit.Von Mark Schrörs, WashingtonIWF-Kapitalmarktchef Tobias Adrian hat mit eindringlichen Worten vor politischer Einflussnahme auf die Zentralbanken gewarnt und die Unabhängigkeit der Geldpolitik verteidigt. “Die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist von sehr großer Bedeutung und zentral für das Vertrauen ins Geld und das Geldsystem. Es wäre gefährlich, die Unabhängigkeit der Zentralbanken zu untergraben”, sagte der Leiter der Kapitalmarktabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und oberste Berater von IWF-Chefin Christine Lagarde in Finanz- und geldpolitischen Fragen der Börsen-Zeitung in Washington. Zugleich verteidigte er die jüngste Kehrtwende der Zentralbanken, die die geldpolitische Normalisierung vorerst gestoppt haben. Trump-Attacken auf die FedMit den Aussagen richtet sich Adrian insbesondere auch gegen Angriffe von US-Präsident Donald Trump auf die US-Notenbank Fed. Trump attackiert die Fed und Notenbankchef Jerome Powell wegen der Zinserhöhungen im Jahr 2018 seit Monaten scharf. Unlängst hatte er sogar eine sofortige Zinssenkung gefordert. Zugleich will er zwei Vertraute und Weggefährten in das Führungsgremium der Notenbank schicken. Erst am Sonntag hatte Trump nachgelegt und kritisiert, die Fed habe die Börsen und die Wirtschaft ausgebremst.Die Attacken Trumps und die Sorgen um die Unabhängigkeit der Fed und anderer Zentralbanken waren jetzt auch bei der IWF-Frühjahrstagung ein großes Thema. In Washington hatte sich sogar EZB-Präsident Mario Draghi öffentlich sehr besorgt über die Unabhängigkeit der Fed gezeigt. Solche Aussagen eines Zentralbankchefs über eine andere Zentralbank sind äußerst selten.Auch Adrian pochte im Gespräch nach der IWF-Frühjahrstagung auf die Unabhängigkeit. “Das gilt für alle Länder”, sagte er. Er warnte davor, sich wegen der aktuell niedrigen Inflation in Sicherheit zu wiegen. Die Sorge vor einer aus dem Ruder laufenden Teuerung war einst ein zentraler Grund für die Schaffung unabhängiger Zentralbanken. In den vergangenen Jahren lag die Teuerung weltweit dagegen eher unterhalb des verbreiteten Inflationsziels von 2 %.”Die Inflation ist aktuell weltweit sehr niedrig. Aber die Inflation kann jederzeit zurückkommen”, sagte Adrian: “Die Unabhängigkeit der Zentralbanken und der Geldpolitik ist entscheidend, um zu garantieren, dass die Inflation auch künftig niedrig sein wird.” Hinzu komme: Der Druck, eine andere Geldpolitik zu machen, sei umso größer in einer Zeit, in der die Fiskalpolitik mehr Verantwortung zur Stützung des Wachstums übernehmen solle. “Dann ist es besonders wichtig, dass die Geldpolitik unabhängig von der Fiskalpolitik ist”, so Adrian.Attacken auf die Unabhängigkeit einer Zentralbank hätten nicht unbedingt Einfluss auf die Geldpolitik, wenn die Zentralbank sehr unabhängig sei. “Sie können aber auch das Ansehen der Zentralbank und die Akzeptanz der Geldpolitik in der Öffentlichkeit untergraben. Das kann auch problematisch sein”, sagte Adrian. Sollte die Fed ihre Unabhängigkeit verlieren, könne das Vertrauen in die Geldpolitik verloren gehen, hatte auch Draghi in Washington gewarnt. “Die Fed hat ein klar definiertes Mandat: Sie soll die Inflation bei rund 2 % halten und für maximale Beschäftigung sorgen. Die Fed verfolgt diese Ziele sehr erfolgreich”, sagte IWF-Experte Adrian nun.Kritisch äußerte sich Adrian zur Modern Monetary Theory (MMT), über die derzeit vor allem in den USA viel diskutiert wird. Im Kern argumentieren die MMT-Anhänger, dass sich ein Land, das seine eigene Währung hat, keine großen Sorgen machen müsse um staatliche Defizite und Schulden, weil es jederzeit Geld drucken könne. “In Entwicklungsländern sieht man oft, dass Zentralbanken dazu gedrängt werden, staatliche Defizite direkt zu finanzieren. Das ist oftmals sehr problematisch”, sagte Adrian. Die Fiskalpolitik sei sehr wichtig, auch in der aktuellen Situation. Aber: “Es gibt sehr wohl Grenzen dafür, wie viel Defizit und Schulden ein Staat machen kann.”Adrian verteidigte die jüngsten Entscheidungen der Fed oder auch der Europäischen Zentralbank (EZB), die seit Jahresbeginn einen sehr viel vorsichtigeren Kurs eingeschlagen haben. “Der jüngste Kursschwenk der Zentralbanken weltweit war absolut richtig und angemessen”, sagte Adrian. Ende 2018 hätten sich die Abwärtsrisiken für das Wachstum deutlich erhöht und zugleich die Finanzierungsbedingungen merklich verschärft. Zudem sei die Inflation “immer noch sehr niedrig”. “Mit ihrem Umschwung haben die Zentralbanken die Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft reduziert”, sagte Adrian. Investoren hätten zuvor die Sorge gehabt, dass es eine harte Landung der Volkswirtschaften geben könne. Jetzt gelte eine sanfte Landung als sehr viel wahrscheinlicher.Skeptisch zeigte sich Adrian hinsichtlich starker Markterwartungen an eine baldige Zinssenkung in den USA: “Die Fed hat jetzt kommuniziert, dass es mit den Zinsen künftig in beide Richtungen gehen kann. Auf absehbare Zeit bleibt es aber laut der Fed-Kommunikation beim jetzigen Zinsniveau. Die geduldige Haltung der Fed ist aktuell absolut angemessen.” Lob gab es auch für die EZB: “Der Kurs der EZB ist im aktuellen Umfeld vollkommen richtig.” Geldpolitik in einem DilemmaAdrian räumte ein, dass der neue Kurs die Gefahr des Aufbaus weiterer finanzieller Anfälligkeiten erhöhe – die Zentralbanken steckten da in einem “Dilemma”. “Kurzfristig, auf Sicht von einem Jahr, haben die Zentralbanken jetzt die Abwärtsrisiken verringert. Mittelfristig, auf Sicht von zwei bis drei Jahren, ist das Risiko negativer Wachstumsraten aktuell erheblich.” Bei finanziellen Schwachstellen sei aber als Erstes die makroprudenzielle Aufsicht gefragt, Schlimmeres zu verhindern. “Wenn es keine oder keine ausreichenden makroprudenziellen Instrumente gibt, muss die Geldpolitik überlegen, was sie tun kann”, sagte er. Das gelte etwa im Unternehmenssektor, in dem gerade die Verschuldungsrisiken erheblich zunähmen.Adrian äußerte sich auch zur Debatte über einen fehlenden Handlungsspielraum der Geldpolitik im Fall eines Abschwungs. “Die Sorge, dass die Geldpolitik die Grenzen dessen erreicht hat, was sie machen kann, ist für den Euroraum sehr viel größer als für die USA.” Im Euroraum lägen die Leitzinsen bei oder unter 0 %, und die Märkte erwarteten, dass sie noch viele Jahre auf dem Niveau bleiben werden. Zudem sei die EZB-Bilanz weiter sehr groß: “Wenn es im Euroraum jetzt einen größeren Schock geben sollte, ist fraglich, was die EZB noch tun kann. Die EZB kann sicher noch mehr machen, sie hat sicher noch Möglichkeiten und Instrumente, aber sie hat weniger Spielraum als die Fed.” Draghi betont aktuell immer wieder, die EZB sei zum Handeln bereit und verfüge noch über viele Instrumente.In der Diskussion über den negativen EZB-Einlagezins nahm Adrian die EZB in Schutz. “Das Problem der geringen Profitabilität vieler europäischer und deutscher Banken gibt es schon lange und nicht erst seit dem Negativzins der EZB”, sagte er: “Wenn die EZB jetzt die Zinsen erhöhen würde, würde das die europäischen Banken ganz sicher nicht profitabler machen.” Es gebe eine Grenze, wie weit eine Zentralbank den Zins unter null senken könne – wobei unklar sei, ob dieser Punkt im Euroraum bereits erreicht sei. “Es gibt aber keine Grenze, wie lange eine Zentralbank an Negativzinsen festhalten kann. Banken passen sich dem Zinsniveau an.”Adrian begrüßte es, dass die Zentralbanken zunehmend auch über die geldpolitischen Rahmenwerke nachdenken: “Es macht Sinn, sich die geldpolitischen Rahmenwerke anzuschauen und sie auf den Prüfstand zu stellen. Das gilt im Grunde für alle Zentralbanken”, sagte er: ” Es sieht so aus, als wenn die Zinsen weltweit noch für sehr lange Zeit sehr niedrig bleiben werden. Da gilt es zu schauen, ob die Zentralbanken dafür richtig gewappnet sind.” Vor allem in der Fed tobt eine Debatte über die Zukunft der Geldpolitik, aber auch in der EZB gibt es nun erste Stimmen.Für die Schwäche der europäischen Banken, vor allem im Vergleich zu den US-Wettbewerbern, sieht Adrian eine Reihe Faktoren verantwortlich: eine schlechtere Governance, höhere Kostenstrukturen, Altlasten wie die ausfallgefährdeten Kredite und den großen Wettbewerb. “Es gibt zu viele Banken in Europa, und es braucht dringend Konsolidierung”, sagte er: “Es ist erstaunlich, wie wenig grenzüberschreitende Konsolidierung es bislang in der europäischen Bankenlandschaft gegeben hat. Früher oder später aber wird es in Europa grenzüberschreitende Zusammenschlüsse von Banken geben müssen.” Bislang sei die Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte noch so groß, dass Banken keine großen Anreize hätten, über die Grenzen hinweg zu konsolidieren. “Das muss sich ändern”, sagte Adrian: “Die Fragmentierung ist ein Hindernis für starke europäische Kapitalmärkte und ein wettbewerbsfähiges Bankensystem.” “Europäische Champions”Adrian machte deutlich, dass für ihn die Lösung nicht unbedingt in nationalen Bankenfusionen liegt. In Deutschland verhandeln aktuell die Deutsche Bank und die Commerzbank über einen Zusammenschluss, in Spanien Bankia und Sabadell. “Konsolidierung allein reicht nicht. Entscheidend ist, eine konsolidierte Bank auch profitabel zu machen”, sagte er: “Ob das in Europa auf nationaler Ebene zu schaffen ist, ist fraglich. Man muss wohl über die nationalen Grenzen hinausgehen. Es braucht eher europäische Champions statt nationale Champions.”Adrian widersprach Sorgen, dass es durch einen solchen Zusammenschluss zu größeren Risiken für die Finanzstabilität und die Steuerzahler komme. “Das Thema ,Too big to fail` ist kein Argument gegen die Fusion zweier großer Banken. Bei der Thematik wurden sehr große Fortschritte gemacht”, sagte Adrian und verwies unter anderem auf die EU-Abwicklungsbehörde SRB: “In Europa gibt es mit dem SRB ein funktionierendes System. Wenn eine große Banken abgewickelt werden müsste, würde das in Europa sicher sehr gut funktionieren können.”—– Leitartikel Seite 6