BREXIT IM SCHWEBEZUSTAND

Ungewissheit erschwert Vorbereitung auf Brexit

Klagen über mangelnde Planungssicherheit - Ruf nach Äquivalenz im Datenschutz - Offene Fragen im Frachtverkehr

Ungewissheit erschwert Vorbereitung auf Brexit

Vielleicht am 1. Juni, vielleicht am 1. August oder am 1. September, vielleicht am 1. November – die Flextension, also die flexible Vertagung des Termins für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, macht es für Unternehmen nicht einfacher, sich für den “B-Day” zu wappnen.Von Detlef Fechtner, FrankfurtEigentlich scheinen die Unternehmen in Deutschland mittlerweile für den Brexit gerüstet zu sein. Neun von zehn Firmen haben jüngst in einer Umfrage des Industrieverbands BDI und der Beratungsgesellschaft Deloitte erklärt, dass sie eine punktuelle Analyse der Brexit-Auswirkungen vorgenommen oder sogar eine Brexit Task Force eingerichtet haben beziehungsweise sich extern beraten lassen. Und mehr als 80 % geben an, Notfallpläne für den Fall eines ungeordneten Austritts bereits in der Schublade oder gerade in der Mache zu haben.Zugleich aber beklagen Unternehmen, Banken und deren Interessenvertretungen immer lauter, dass sich die politische Hängepartie weiter in die Länge zieht. Seit dem Beschluss des EU-Gipfels vorige Woche, den Brexit womöglich bis Halloween zu vertagen, wird die Erleichterung über die vorläufige Vermeidung eines chaotischen Austritts bereits im April durch die Sorge über die anhaltende Unsicherheit getrübt. Stellvertretend für viele andere warnt die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Öffentlicher Banken (VÖB), Iris Bethge: “Der erneute Schwebezustand verhindert Rechts- und Planungssicherheit, ein Schrecken ohne Ende ist genauso unverantwortlich wie ein ungeordneter Brexit.”Ein Hard Brexit ist nach wie vor nicht auszuschließen. Knapp die Hälfte der Unternehmen befürchtet laut BDI-Umfrage im Falle eines ungeordneten Austritts für sich einen “hohen” oder “sehr hohen” Schaden (siehe Grafik). Der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Holger Bingmann, weist darauf hin, dass die “lähmende Ungewissheit” bereits jetzt “konjunkturelle Spuren beiderseits des Kanals” hinterlasse. “Solange die Hängepartie anhält, ist das Vereinigte Königreich aus Sicht der meisten Unternehmen tabu für neue Investitionen”, mahnt ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann.Zudem geht die Sorge um, dass vor allem im Falle eines ungeordneten Brexit Probleme auftauchen, die sich durch entschlossenere Vorbereitung der Politik verhindern ließen. Das gilt insbesondere für den Schutz personenbezogener Daten. Viele Wirtschaftsverbände, darunter auch der Bundesverband deutscher Banken, drängen die EU-Kommission, einen Angemessenheitsbeschluss vorzubereiten, der bei einem harten Brexit ohne jede Verzögerung in Kraft treten kann. Eine solche Anerkennung der Äquivalenz, die dem Vereinigten Königreich ein angemessenes Datenschutzniveau bescheinigt, würde kontinentaleuropäische Unternehmen von der Sorge befreien, gegen EU-Recht zu verstoßen, wenn sie weiterhin täglich Hunderte von Millionen Daten nach Großbritannien transferieren und dort verarbeiten lassen.Die Datenschutz-Grundverordnung sieht im Falle des Brexit keine Übergangsfristen vor. Die deutschen Datenschutzbehörden signalisieren zwar, dass sie die schwierige Situation berücksichtigen werden, in die die Unternehmen durch den Brexit gelangen. Deshalb sei nicht beabsichtigt, anlasslose Prüfungen durchzuführen. Die Behörden deuten aber an, ab Tag 1 nach dem Austritt Großbritanniens Beschwerden von Dritten nachgehen zu müssen und gegebenenfalls Maßnahmen gegen Unternehmen zu ergreifen – sofern nicht sofort ein Angemessenheitsbeschluss in Kraft tritt. Noch gibt es aber keine klaren Signale aus der EU-Kommission, eine solche Entscheidung zu treffen, sobald der Brexit über die Bühne geht. Infrastruktur bereitet SorgenPlanungsunsicherheit treibt auch die Spediteure um – und damit alle am grenzüberschreitenden Warenverkehr beteiligten Firmen. Zwar ist das Vereinigte Königreich im Frühjahr endlich dem “gemeinsamen Versandverfahren” beigetreten, was die Abfertigung an der Grenze erleichtert, weil elektronische Verfahren genutzt werden dürfen. Um aber tatsächlich Staus an der Grenze vorzubeugen, müsste nach Überzeugung deutscher Logistik- und Transportverbände die Straßeninfrastruktur angepasst und mindestens eine Transitspur eingerichtet werden. Unklar ist zudem, ob die notwendigen elektronischen Formulare für die Übermittlung an den Grenzstellen rechtzeitig zur Verfügung stehen.