DIE SORGEN UM DIE KONJUNKTUR NEHMEN ZU - IM INTERVIEW: GERTRUD TRAUD

"Unternehmen sollten mehr Raum erhalten"

Chefvolkswirtin der Helaba plädiert für Reformen

"Unternehmen sollten mehr Raum erhalten"

Gertrud Traud ist seit 2005 Chefvolkswirtin und Bereichsleiterin Research der Helaba. Im Interview spricht sie sich unter anderem für mehr dauerhafte Investitionen aus. Frau Traud, glaubt man den Indikatoren, steckt die deutsche Industrie in schwerwiegenden Problemen. Aber zeichnen die Indikatoren wirklich ein realistisches Bild der Lage?Tatsächlich befindet sich die deutsche Industrie in der Rezession. Die zyklische Abwärtsentwicklung ist allerdings ein weltweites Thema und setzte bereits im Frühjahr 2018 ein. Ein unmittelbarer Zusammenhang besteht mit dem Handelskrieg zwischen den USA und China und dem Brexit, da Industriegüter maßgeblich in die internationalen Handelsströme eingebunden sind. Zumindest bislang konnten sich die Dienstleistungssektoren in Deutschland, die rund 75 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen, von der Abwärtsentwicklung im Industriesektor abkoppeln. Die Hoffnungen der stark vom Export abhängigen deutschen Industrie liegen ja auf einer Wachstumsbelebung in China – wie stehen hier die Chancen?In China gibt es erste Anzeichen, dass die expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen wirken. Zuletzt war eine Stimmungsverbesserung zu beobachten. Dazu könnte auch die Abwertung des Yuan beigetragen haben. Zyklisch sind somit positive Effekte für diesen wichtigen Abnehmer deutscher Exportgüter zu erwarten. Strukturell belastet jedoch der Umbau Chinas hin zu einer binnenkonjunkturgetriebenen Wirtschaft. Was kann die Politik tun, um die Industrie hierzulande in dieser Phase besser zu unterstützen?Seit der Finanzkrise haben sich die Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen sukzessive verschlechtert: steigende Bürokratie, zunehmende Regulierung sowie ein kräftiger Anstieg der Lohnstückkosten. Dagegen haben viele andere Länder die Unternehmenssteuern gesenkt. Um international wieder mithalten zu können, bedarf es in Deutschland einer umfassenden Unternehmenssteuerreform. Ist die Industriestrategie von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier geeignet, Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze zu erhalten und aufzubauen?Deutschland ist geprägt durch seine mittelständische Struktur. Diese häufig auch familiengeführten Unternehmen haben ein großes Selbstverständnis für eigenständiges Handeln. In anderen Ländern ist ein zentraler Plan, der auch die Unternehmen umfasst, üblicher. Somit sollten hierzulande die Unternehmen wieder mehr Raum erhalten, um sich besser unternehmerisch entfalten zu können. Für Deutschland halte ich eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für zielführender als eine stärker lenkende Industriepolitik. Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für den deutschen Arbeitsmarkt?Die größte Herausforderung für den deutschen Arbeitsmarkt ist der Fachkräftemangel. Positiv ist, dass dies den Arbeitsmarkt in einer konjunkturellen Schwächephase stabilisiert. Die Unternehmen scheuen das Risiko, einen hoch qualifizierten Arbeitnehmer freizusetzen, um dann im Aufschwung nicht mehr genug Personal zu haben. Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die massive Abwärtsbewegung in der deutschen Industrie in den nächsten Monaten auch bei den Arbeitskräften ankommen wird, wenn sich nicht bald eine Trendwende abzeichnet. Noch stellt der private Konsum dank eines robusten Arbeitsmarktes und steigender Löhne eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft dar. Wie lange wird das unter den aktuellen Bedingungen aber noch möglich sein?Der Arbeitsmarkt ist üblicherweise ein nachlaufender Indikator. Obwohl die Abwärtsentwicklung in der deutschen Industrie schon mehr als 1ô§ Jahre dauert, sind noch keine Spuren am Arbeitsmarkt zu erkennen. Dies würde sich aber ändern, wenn die Dienstleistungssektoren mit in den Abwärtsstrudel gerissen werden. Dies wird umso wahrscheinlicher, je länger die Abwärtsbewegung dauert. Schon seit langem wird, etwa vom IWF, gefordert, Deutschland solle mehr in Bereiche wie Bildung, Infrastruktur und Klima investieren: Sollte dafür die Schuldenbremse gelockert und die schwarze Null aufgegeben werden?Ich bin immer wieder überrascht, wie konjunkturelle und strukturelle Themen in einen Topf geworfen werden. Alle genannten Bereiche sind strukturelle Aspekte, in die Deutschland tatsächlich mehr investieren muss. Aber nicht kurzfristig, zur Ankurbelung der Konjunktur, sondern dauerhaft. Insbesondere bei Infrastruktur zeigt sich die Grenze der kurzfristigen Möglichkeiten. Der Bausektor arbeitet schon seit geraumer Zeit an der Kapazitätsgrenze und ein Teil der zur Verfügung gestellten Gelder konnte von vielen Kommunen noch nicht abgerufen werden, da auch in den Behörden keine Kapazitäten zur Bearbeitung vorhanden sind. War in Ihren Augen der jüngste Lockerungsschritt der EZB gerechtfertigt?Die EZB erwartet offenbar, der Konjunktur noch Impulse geben zu können. Allerdings kann die Einführung des Staffelzinses als Eingeständnis gewertet werden, dass negative Zinsen mehr schaden als nützen. Mit dem berühmten Satz “Whatever it takes” hat sich die EZB als Institution positioniert, die versucht, fast alle Probleme Europas zu lösen. Mit negativen Zinsen und Anleihekäufen hilft sie hoch verschuldeten Ländern, signifikante Risikoaufschläge und steigende Schuldenlast zu vermeiden. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist derzeit nicht auszumachen. Welche Reaktionsmöglichkeiten hat die Notenbank noch, wenn die Konjunktur im Euroraum weiter substanziell abkühlt?Das Mandat vieler Notenbanken ist es, Preisniveaustabilität zu gewährleisten und nicht die Konjunktur anzukurbeln. Nichtsdestotrotz verstehen sich die meisten Notenbanken dieser Welt mittlerweile auch als dafür zuständig. Die neue EZB-Chefin Christine Lagarde dürfte in dieser Frage eher früher als später Handlungsstärke zeigen wollen und den Einlagezins um weitere 10 Basispunkte senken – und mit etwas Glück springt dann gerade der konjunkturelle Funke aus China über. Sollte die Konjunkturerholung nicht kommen, hat die EZB kaum noch Möglichkeiten. Ich gehe hier mit Mario Draghi konform, dass jetzt die Fiskalpolitik gefordert ist – gerade in Deutschland müssen die Steuern gesenkt werden! Was ist Ihre BIP-Prognose für 2019 und 2020?Wir erwarten für Deutschland ein kalenderbereinigtes Wachstum des BIP von 0,6 % für 2019 und 2020 ein Wachstum von 1,2 %. Die Fragen stellte Alexandra Baude.