US-Schulden auĂer Kontrolle
Von Peter De Thier, Washington
Die US-Staatsschulden laufen aus dem Ruder, doch selten war die Inszenierung des regelmĂ€Ăig wiederkehrenden Theaters um die gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze so dramatisch wie in diesem Jahr. Bald werden jene buchhalterischen Tricks, auf die Finanzministerin Janet Yellen seit August zurĂŒckgreift, um ZahlungsausfĂ€lle zu verhindern, erschöpft sein. Nun hat Yellen Alarm geschlagen. In einem Brief an Nancy Pelosi, die demokratische Fraktionschefin im ReprĂ€sentantenhaus, warnte sie vor âirreparablem Schaden fĂŒr die US-Wirtschaftâ, wenn die Einigung auf ein höheres Schuldenlimit weiter aufgeschoben wird.
Laut Yellen werden jene âauĂerordentlichen MaĂnahmenâ, deren sich die Treasury bedient, um ZahlungsausfĂ€lle zu verhindern, im Oktober aufgebraucht sein. Können sich Demokraten und Republikaner bis dahin nicht auf ein neues Schuldenlimit einigen, dann drohen weitreichende Konsequenzen. Laut Yellen wĂŒrde das Vertrauen der Verbraucher leiden, auch könnten deren kurzfristige Finanzierungskosten steigen. Nicht auszuschlieĂen wĂ€ren zudem ein Stillstand des staatlichen Verwaltungsapparats (Shutdown) und eine Herabstufung von US-Staatsanleihen, die Chaos an den FinanzmĂ€rkten auslösen könnten.
Mehr als 100 Mal wurde die Grenze seit deren EinfĂŒhrung im Jahr 1917 ĂŒberschritten. In der Regel handelt es sich bei der Anhebung um einen simplen Kongressbeschluss, den die MĂ€rkte kaum zur Kenntnis nehmen. Anders ist es aber, wenn die Hauptstadt Washington politisch so tief gespalten ist und zudem ein Wahljahr vor der TĂŒr steht, in dem Republikaner hoffen, die Kongressmehrheiten zurĂŒckerobern zu können.
Machtpoker im Senat
Auch ohne das Machtgerangel auf dem KapitolshĂŒgel ist die Lage ungewöhnlich brisant. So hatte der Kongress im Jahr 2019 die Grenze auf 22 Bill. Dollar hochgeschraubt. Als Folge der Coronavirus-Pandemie und Konjunkturpaketen im Wert von ĂŒber 5 Bill. Dollar gerieten die Staatsfinanzen wĂ€hrend der vergangenen eineinhalb Jahre auĂer Kontrolle. Mittlerweile nĂ€hern sich die Schulden der Marke von 29 Bill. Dollar und machten nach Angaben der Federal Reserve Bank von St. Louis im zweiten Quartal dieses Jahres ĂŒber 125% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus.
Zwar wurde das gesetzliche Limit im August vorĂŒbergehend ausgesetzt. Das Finanzministerium bedient sich seit dieser Suspendierung diverser MaĂnahmen, um zu verhindern, dass Zinszahlungen ausgesetzt werden mĂŒssen. Gestoppt wurde unter anderem die Ausgabe neuer Anleihen durch die einzelnen US-Staaten und Gemeinden. Auch wird nun darauf verzichtet, Einnahmen des staatlichen Investmentfonds âGovernment Securities Investment Fundâ und des Wechselkurs-Stabilisierungsfonds zu reinvestieren. VerstĂ€ndigt sich der Kongress bis Oktober auf eine weitere Erhöhung der Schuldengrenze, dann wĂ€re das Problem zumindest kurzfristig gelöst. Die lĂ€ngerfristige Sorge vieler Ăkonomen gilt aber der Tatsache, dass die Schulden bald nicht mehr tragfĂ€hig sein werden. Dabei ist selbst eine kurzfristige Lösung ausgesprochen schwierig. Notwendig wĂ€re nĂ€mlich im Senat, in dem Demokraten und Republikaner jeweils 50 Sitze haben, eine Mehrheit von 60 Stimmen.
Pelosi antwortete auf Yellens Brief zwar mit dem Hinweis, dass die Demokraten âdas Vertrauen in die KreditwĂŒrdigkeit des US-Staates nicht aufs Spiel setzen werdenâ. Ihr sind aber die HĂ€nde gebunden. Dass sie zehn Republikaner an Bord holen kann, ist unwahrscheinlich. Oppositionschef Mitch McConnell weiĂ nĂ€mlich sehr wohl, dass ein âShutdownâ oder ein Downgrade wie wĂ€hrend der Schuldenkrise 2011 dem amtierenden demokratischen PrĂ€sidenten Joe Biden und seiner Partei schaden. Nun hat auch die Ratingagentur Fitch signalisiert, dass auch sie ohne einen Deal zur Schuldengrenze die BonitĂ€tsnote der US-Staatsanleihen herabsetzen könnte. Das Drama hat gerade erst begonnen, und die kommenden Wochen werden zeigen, ob allein im Interesse der FinanzstabilitĂ€t beide Parteien das Kriegsbeil vorĂŒbergehend werden begraben können.