US-Wirtschaft im Zwiespalt

Fed-Chef: Unerwartet schnelle Erholung darf nicht über "außerordentliche Unsicherheit" hinwegtäuschen

US-Wirtschaft im Zwiespalt

Die US-Wirtschaft erholt sich zwar schneller als erwartet, bewegt sich aber unter anderem wegen steigender Infektionszahlen auf brüchigem Fundament. Ein Aufschwung wird laut Notenbankchef Jerome Powell von Erfolgen bei der Bekämpfung des Coronavirus und von staatlichen Hilfen abhängen.det Washington – Die amerikanische Wirtschaft gerät zunehmend in einen Zwiespalt zwischen einer überraschend frühen konjunkturellen Erholung und steigenden Corona-Fallzahlen in etlichen Bundesstaaten. Nach Ansicht von US-Notenbankchef Jerome Powell begründet dieses Spannungsfeld erhebliche Abwärtsrisiken für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. In einem Auftritt vor dem Finanzdienstleistungsausschuss des Repräsentantenhauses, an dem auch Finanzminister Steve Mnuchin teilnahm, hob Powell einerseits das überraschende Tempo hervor, mit dem sich die Wirtschaft wieder zu normalisieren beginnt, warnte aber gleichzeitig vor Gefahren.”Wir sind in eine wichtige, neue Phase eingetreten, und zwar früher als erwartet”, sagte der oberste Währungshüter. Während der Fed-Chef das Comeback einerseits begrüßte, hätten Politiker und Gesundheitsexperten gleichzeitig neue Aufgaben zu bewältigen, “nämlich das Virus in Schach zu halten”, sagte Powell. Die Öffnung der Wirtschaft vollzieht sich indes vor dem Hintergrund steigender Erkrankungen und Todesfälle in 26 der 50 Bundesstaaten. Ein steiler Anstieg ist vor allem in Südstaaten wie Texas, Arizona und Florida zu beobachten, die entgegen dem Rat von Gesundheitsexperten ihre Wirtschaft frühzeitig geöffnet haben, nun aber teilweise zurückrudern. Mit fast 130 000 Todesfällen in Zusammenhang mit dem Coronavirus und 2,7 Millionen Erkrankungen machen die USA in beiden Kategorien mehr als ein Viertel aller weltweit registrierten Fälle aus. Arbeitsmarkt bleibt anfälligLaut Powell darf auch nicht übersehen werden, dass seit dem Ausbruch der Pandemie Mitte März mehr als 20 Millionen Amerikaner ihren Arbeitsplatz verloren haben und dies die soziale Kluft in der US-Wirtschaft weiter aufgerissen habe. Die wirtschaftliche Entwicklung sei “außerordentlich unsicher”. Eine vollständige Erholung sei jedenfalls unwahrscheinlich, bis Kontaktbeschränkungen aufgehoben würden und Menschen sicher seien, dass sie wieder in vollem Umfang täglichen Aktivitäten nachgehen könnten, sagt Powell.Auch wiederholte der Fed-Chef seine Aufforderung an den Kongress, ein weiteres Konjunkturpaket zu verabschieden, und bekräftigte die Bereitschaft der Notenbank, weitere Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur zu ergreifen. Politiker auf allen Ebenen müssten “so lange, wie dies notwendig ist”, Schritte zur Stützung der Wirtschaft unternehmen, betonte der Notenbankvorsitzende.Finanzminister Mnuchin verwies unter anderem auf die bisher verabschiedeten Hilfspakete und betonte, dass die Regierung auch offen sei für ein weiteres Konjunkturpaket, das der Kongress schon nach dem anstehenden langen Feiertagswochenende in den USA in Angriff nehmen könnte. Bisher wurden etwa 3 Bill. Dollar an Hilfsmaßnahmen bewilligt.Dass die Wirtschaft sich zumindest bisher schneller erholt, als Experten vorausgesagt hatten, unterstreicht der Index des Verbrauchervertrauens des Forschungsinstituts Conference Board. Der Sammelindex stieg im Juni von 85,9 auf 98,1 Punkte. Erwartet hatten Bankvolkswirte einen Wert um 90 Zähler. “Die Wiedereröffnung der Wirtschaft und der Rückgang der Erstanträge auf Arbeitslosengeld”, die immer noch auf einem hohen Niveau verharren, hätten die Stimmung bei Konsumenten gehoben, sagte Conference-Board-Ökonomin Lynn Franco.Auch sie hob aber hervor, dass die weiteren Aussichten mit großer Unsicherheit behaftet sind. Angesichts der “ungewissen und unebenen Erholung und der Möglichkeit einer zweiten Welle von Erkrankungen” könne man noch nicht abschätzen, ob und wann Verbraucher bereit sein werden, ihre Ausgaben wieder auf das Vorkrisenniveau hochzuschrauben”. Der Konjunkturindex des Chicago Institute for Supply Management (ISM) zog im Juni wieder leicht an, signalisiert mit 36,6 Punkten aber nach wie vor Kontraktion. Für das gesamte zweite Quartal gab der Index um 11,8 Punkte nach und erreichte den tiefsten Stand seit Anfang 2009.