IM BLICKFELD

Venezuelas Wirtschaft kämpft gegen die Krise

Von Andreas Fink, Buenos Aires Börsen-Zeitung, 7.1.2016 Für Venezuelas Wirtschaft hat das wohl schwerste Jahr der Geschichte begonnen. Schon 2015 schloss das Karibikland mit einer Bilanz ab, die dermaßen verheerend ausfiel, dass die Regierung von...

Venezuelas Wirtschaft kämpft gegen die Krise

Von Andreas Fink, Buenos AiresFür Venezuelas Wirtschaft hat das wohl schwerste Jahr der Geschichte begonnen. Schon 2015 schloss das Karibikland mit einer Bilanz ab, die dermaßen verheerend ausfiel, dass die Regierung von Nicolás Maduro sie ihren Bürgern lieber nicht mitteilen wollte. Doch vorigen Dienstag berichtete die Zeitung “El Nacional” aus Kreisen der Zentralbank, dass die Inflation im Vorjahr 270 % betragen habe. Allein im Monat Dezember seien die Preise um 16 % gestiegen. Zum dritten mal in Folge hatte der Ölstaat die höchste Inflationsrate der Welt, obwohl der Konsum seiner Bürger um 7 % abnahm, wie die Beratungsfirma Ecoanalitica mitteilte. Nach deren Berechnungen schrumpfte die Volkswirtschaft im Vorjahr um 9 %.Der Dollar, dessen offizieller Wert im Gesamtjahr 2015 bei 6,30 Bolivares eingefroren war, kostet auf dem Schwarzmarkt inzwischen über 900 Bolivares. Dieses Missverhältnis ist seit Jahren eine gigantische Bereicherungsquelle für wenige Privilegierte mit Machtzugang, die US-Valuten zu offiziellem Kurs kaufen und zum Parallelwert losschlagen können. Laut Spaniens früherem Ministerpräsidenten Felipe González sind in Venezuela im vergangenen Jahrzehnt 800 Mrd. Dollar versickert – auf Kosten jener Bürger, die täglich Stunden vor Supermärkten warten, um doch nur einen kleinen Teil der benötigten Lebensmittel und Hygieneprodukte zu bekommen. Es fehlen Milch, Mehl, Öl, sogar die einstigen Exportprodukte Zucker und Kaffee. Ebenso Zahnpasta, Klopapier, Autoersatzteile. Laut dem Marktforscher Datanálisis waren durchschnittlich 63 % der Güter knapp. Kürzlich gab der Chef des Apothekerverbandes bekannt, dass es nur noch ein Zehntel der benötigten Verhütungspillen gebe. Viele Frauen nähmen, was sie bekämen und nicht, was ihnen bekomme. Vom Import total abhängigInflation und Versorgungsmangel sind ebenso Folge staatlich verordneter Preis- und Währungskontrollen wie eines systematischen Kampfes der Bolivarianer gegen die Privatwirtschaft. Absurde Steuern, ausbleibende Devisenzuteilungen und irrwitzige arbeitsrechtliche Vorschriften veranlassten viele venezolanische Unternehmer zur Aufgabe. Im Dienste der Machtkonzentration bevorzugte es der Staat, lieber alle Konsumgüter einzuführen, als nationale Unternehmer operieren zu lassen. Doch dieses Modell stieß bereits an seine Grenzen, noch ehe die Ölpreise an den Weltmärkten verfielen. Schon 2012, dem Jahr, in dem der damals schon schwer kranke Hugo Chávez letztmals gewählt wurde, lag das Budgetdefizit bei 15 %. Bereits der “Comandante” lieh sich über 50 Mrd. Dollar in China, die sein Land nun mit Rohöllieferungen abstottern muss. Weil Venezuela bis heute das Benzin für seine Bürger fast verschenkt, weil es immer noch Kuba und anderen karibischen Amigos Öl zu Sonderkonditionen liefert und weil die Förderung aufgrund fehlender Investitionen ständig nachgelassen hat, bleibt dem Land heute immer weniger Petroleum, das es frei verkaufen kann. Und nun sind auch noch die Preise im Keller. 45,55 Dollar brachte ein Barrel venezolanisches Rohöl im Jahresschnitt 2015, knapp 43 Dollar weniger als 2014. Für 2016 rechnen die meisten Marktbeobachter mit einem weiteren Rückgang auf Preise von unter 40 Dollar.Asdrubal Oliveros, Chef von Ecoanalitica, schätzt, dass das Land in diesem Jahr etwa 38 Mrd. Dollar aus Rohölverkäufen einnehmen kann. Allein für den Schuldendienst werde es 10,5 Mrd. Dollar brauchen, also mehr als ein Viertel der Einnahmen. “Das ist eine ziemlich komplizierte Lage”, sagt Oliveros. “Sollte das Land seine Schulden nicht bedienen, bekämen wir aber ein noch größeres Problem.” Venezuela müsste mit der Beschlagnahmung von Tankschiffen und seiner US-Tankstellenkette Citgo rechnen, die es Ende 2014 vergeblich zu verkaufen versuchte. Außerdem könnten sich sämtliche Märkte verschließen, was katastrophale Folgen haben könne. Die Analysten von Barclays Capital sehen, trotz einer möglichen Importreduktion um weitere 7 Mrd. Dollar, eine Finanzierungslücke von 27 Mrd. Dollar.Wie diese schließen? Die Notenpresse kann nicht noch schneller laufen, wenn das Land nicht in eine Hyperinflation abgleiten soll. Die Währungsreserven sind inzwischen mit 14,5 Mrd. Dollar auf dem tiefsten Stand seit 15 Jahren und entsprechen, so Analysten, nur noch dem Wert von 5 Monaten Importen. Womöglich muss Maduro tatsächlich die irrwitzige Benzinpreissubvention streichen. Damit die Bürger den Tank für weniger als 1 Dollar füllen können, muss der Staat Milliarden zuschießen. Vielleicht startet Caracas einen neuen Versuch, sein Tankstellennetz in den USA loszuschlagen. Oder Maduro versucht wieder in Peking Kredit zu bekommen. Allerdings waren die Chinesen gegenüber Maduro weniger generös als zu dessen Mentor Chávez.Maduro hat nun eine Reihe von Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur angekündigt. Gestärkt werden soll vor allem die Industrie. Seine Pläne durchkreuzen könnten allerdings die Regierungsgegner, die seit Dienstag das Parlament kontrollieren. Das Oppositionsbündnis MUD (Mesa de la Unidad Democrática, Tisch der Demokratischen Einheit), das nun eine deutliche Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung besetzt, hat bei der konstituierenden Sitzung angekündigt, ein Abwahlreferendum über Präsident Maduro auf den Weg zu bringen. Obwohl dieser am Wahlabend des 6. Dezember das Wahlergebnis anerkannte, begann er alsbald das neue Parlament zu beschimpfen. “Es ist nicht der Zeitpunkt für einen Ausgleich mit der Bourgeoisie.” Unabhängigkeit einkassiertEhe die neue Nationalversammlung zusammentrat, kassierte Maduro per Dekret alle Reste an Unabhängigkeit, die der Zentralbank noch geblieben waren. Ab sofort wird der Bankdirektor vom Präsidenten bestimmt und ist an dessen Weisungen gebunden. Die wohl wichtigste Neuigkeit ist, dass die Zentralbank “angesichts einer internen oder externen Bedrohung” die Möglichkeit hat, dem Staat Kredite zu gewähren oder zu finanzieren, ohne die Zustimmung des Parlamentes einzufordern. Außerdem ist der Zentralbank künftig erlaubt, was sie schon seit Jahresanfang widerrechtlich praktiziert: alle Kerndaten der Wirtschaft zu verschweigen.