LEITARTIKEL

Verhaltener Optimismus

Zwei Wochen nach ihrem Amtsantritt hat die neue argentinische Regierung ein Minimalziel erreicht: Sie konnte die schlimmsten Befürchtungen verscheuchen. Im August war an Wall Street die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Zahlungsausfalls auf 85 %...

Verhaltener Optimismus

Zwei Wochen nach ihrem Amtsantritt hat die neue argentinische Regierung ein Minimalziel erreicht: Sie konnte die schlimmsten Befürchtungen verscheuchen. Im August war an Wall Street die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Zahlungsausfalls auf 85 % taxiert worden. Nun sind diese Ängste zurückgegangen. Mit einem 84 Punkte umfassenden Notfallgesetz konnte sich Präsident Alberto Fernández umfassende Vollmachten für die kommenden 180 Tage sichern. Das Gesetzeswerk beinhaltet vor allem erhebliche Steuererhöhungen für Agrarexporteure sowie Belastungen für Wohlhabende und Bürger, die im Ausland urlauben oder einkaufen wollen. Zudem wird die automatische Anpassung aller Renten ausgesetzt. Allein die Bezieher niedrigster Altersbezüge werden entschädigt. Während nun vor allem argentinische Pensionisten und Agrarproduzenten protestieren, applaudieren die Investoren, dass Fernández und dessen junger Finanzminister Martín Guzmán die argentinische Wirtschaft nicht mithilfe der Notenpresse wiedererwecken wollen. “Sehr zufrieden mit den Maßnahmen” zeigte sich Hans Humes, Gründer und Präsident des US-Investmentfonds Greylock Capital, der an den Verhandlungen über eine Umschuldung in den nächsten Wochen und Monaten teilnehmen wird. Humes glaubt, dass die Bedingungen aktuell nicht so schwierig sind wie nach dem Staatsbankrott 2001, und hält eine vergleichsweise schnelle Lösung für möglich. Die Zeit drängt, denn Argentinien muss im März 15 Mrd. Dollar fällig stellen. Diese Summe hat das Land nicht, daher wird die Uhr bei den Gesprächen in New York am Ende jedes Verhandlungstages lauter ticken.Dass Fernández und Guzmán eine politisch unbequeme, aber fiskalpolitisch orthodoxe Strategie anwenden, zeigt zweierlei. Erstens: Die Verhandlungen um die Schulden haben oberste Priorität. Zweitens: Die Regierung will keinen neuen Zahlungsausfall in Kauf nehmen. Das mögen einige auf der Nordhalbkugel als ökonomisches Einmaleins interpretieren, aber in einem Argentinien, in dem Cristina Kirchner mitregiert, gibt es nicht wenige, die den Bruch mit allen Gläubigern propagieren. Etwa 322 Mrd. Dollar schuldet Argentinien heute, davon 148 Mrd. Dollar privaten Gläubigern. Auf ebenfalls 322 Mrd. Dollar wurde kürzlich das Gesamtvermögen der Argentinier geschätzt, das außerhalb des Finanzsystems gebunkert wird. Das Land hätte also reichlich eigenes Startkapital. Nach dem Notfallpaket ist Argentinien das Land mit der höchsten Steuerbelastung des Kontinents. Das hilft kaum. Die Notfallgesetze seien kein integraler Plan, sondern allenfalls “die Basis für einen U-Turn”, urteilte der einflussreiche Ökonom Carlos Melconian. Sie lassen erkennen, dass die Regierung versuchen wird, Vernunft zu priorisieren. Bislang sind nur Umrisse einer künftigen Industriepolitik bekannt geworden. Klar ist, dass die Regierung versuchen möchte, auf “unproduktive” Sparvermögen zuzugreifen, um den Konsum anzukurbeln und in der Folge die Steuereinnahmen zu steigern.Präsident Fernández forderte, dass die Argentinier ihre Obsession für den Dollar beenden sollen. Seit sieben Jahrzehnten versuchen die Bürger, ihr Erspartes in US-Währung gegen den ständigen Wertverfall des chronisch inflationären Peso abzusichern. Nun brauche der Staat alle Dollars für den Schuldendienst, argumentierte Fernández und verteidigte so eine Fortdauer strenger Kapitalkontrollen. Maximal 200 Dollar pro Monat dürfen Bürger noch kaufen, müssen aber einen Steueraufschlag von 30 % bezahlen.Guzmáns Strategie zielt auf eine zeitnahe Einigung mit den privaten Gläubigern und positive Rückendeckung durch den IWF, der Ende November einen neuen Verantwortlichen für Argentinien ernannt hat. Der Venezolaner Luis Cubeddu kennt Argentinien gut, sein Kontakt mit Alberto Fernández ist persönlich und direkt. Der Fonds, der einen der größten jemals vergebenen Kreditbeträge, 45 Mrd. Dollar, ausstehen hat, dürfte gerade im US-Wahljahr keinerlei Interesse an einem Platzen der Schuldengespräche haben.Aber: Sollten sich die Verhandlungen mit den Investoren verhaken, dürfte Fernández schnell steigendem inneren Druck ausgesetzt sein. Rentnern, die 300 Dollar im Monat beziehen, Verzicht abzuverlangen – das schafft nur ein Peronist im Zenit seiner Macht. Jeder Fehltritt dürfte freilich die Machtbasis des gemäßigten Fernández schmälern und die Fantasien von Kirchners Notenpresse-Fraktion anheizen. ——Von Andreas FinkArgentinien signalisiert Zahlungsbereitschaft und fiskalpolitische Verantwortung. Haken die Gespräche, könnte der populistische Druck steigen. ——