IM BLICKFELD

Verpasste Chance für einen angeschlagenen Präsidenten

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 1.10.2020 Fünf Wochen vor der Präsidentschaftswahl galt die erste von drei Fernsehdebatten zwischen Amtsinhaber Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden für den politisch...

Verpasste Chance für einen angeschlagenen Präsidenten

Von Peter De Thier, Washington Fünf Wochen vor der Präsidentschaftswahl galt die erste von drei Fernsehdebatten zwischen Amtsinhaber Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden für den politisch angeschlagenen Präsidenten als eine der letzten Chancen, das Ruder herumzureißen. Obwohl der Kampf der politischen Schwergewichte am chaotischen Ablauf gemessen die Erwartungen sogar übertraf, dürfte das neunzigminütige Spektakel dem Präsidenten kaum geholfen haben, unentschlossene Wechselwähler umzustimmen.Nach einer fulminanten Anfangsphase, in der Trump wie zuvor angekündigt seinen Gegner “wie eine Dampfwalze” zu überrollen versuchte und Biden zeitweise überfordert schien, fand der ehemalige Vizepräsident in seinen Rhythmus. Punkt für Punkt entwaffnete und entzauberte Biden seinen sichtlich irritierten Gegner, der auf jedes sachlich vorgetragene Argument mit Kopfschütteln, Raunen und wiederholten Unterbrechungen antwortete.Der frühere Stellvertreter von Barack Obama erinnerte daran, dass Trump in einem aufgezeichneten Interview bereits im Februar zugegeben hatte, dass er genau wusste, wie gefährlich das Coronavirus ist. Trotzdem habe er die Pandemie viele Monate lang heruntergespielt und mittlerweile mehr als 200 000 amerikanische Menschenleben auf dem Gewissen, so der Herausforderer. Noch mehr Menschen wären gestorben, hätte Trump es geschafft, seinen Plan umzusetzen und Obamacare abzuschaffen. Dann könnten Millionen von Bürgern den Arztbesuch nicht mehr bezahlen. Gnadenlos rieb Biden Salz in Trumps wohl empfindlichste Wunde: die als Folge der Pandemie schwächelnde Wirtschaft, die dem Präsidenten doch eigentlich als Plattform für eine problemlose Wiederwahl hatte dienen sollen.Nachdem der Präsident sich mit der “stärksten Wirtschaft in der Geschichte” zu schmücken versuchte und eine steile, V-förmige Erholung voraussagte, holte ihn Biden prompt auf den Boden der Realität zurück: “Sie werden der erste Präsident in der Geschichte sein, unter dem mehr Stellen vernichtet als neue geschaffen wurden.”Auch mit den Handelsabkommen, die Trump abschloss, ging Biden hart ins Gericht – etwa dem sogenannten “Phase 1”-Vertrag mit China. Dieser unterstreiche, dass der Präsident, der den Bestseller “The Art of the Deal” schreiben ließ, in Wirklichkeit “The Art of the Steal” meistere. Biden spielte damit polemisch auf Datenklau und den Diebstahl amerikanischer Technologie an, die der Vertrag begünstige. Bidens fehlende Dynamik Obwohl er an den Fakten und vorgetragenen Argumenten gemessen die Debatte gewonnen haben dürfte, unterstrich die Veranstaltung zugleich, dass die Demokraten nicht ihren stärksten Kandidaten aufgeboten haben. Viele der jüngeren, dynamischeren Anwärter auf die Spitzenkandidatur hätten energisch nachgehakt und Trump wegen der Vorwürfe der Steuerhinterziehung stärker in die Mangel genommen. Auch hätten sie ihn wegen seines Umgangs mit den rechten “White Supremacists” zur Rede gestellt, die er während des Duells partout nicht verurteilen wollte. Im Gegenteil. “Haltet Euch zurück, aber steht bereit, Jungs”, lautete seine Appell an die Neonazis. Jemand müsse etwas gegen die Linksextremen unternehmen, setzte er gar nach. Trotz seiner Schwächen bewies Biden dennoch, warum ihm seine Partei unter 17 Kandidaten letztlich den Zuschlag gab. Der Demokrat spricht viele derselben Wähler an wie Trump: weiße Vertreter der unteren Mittelklasse. Farmer, Stahlarbeiter, Arbeiter, Lehrer und Krankenschwestern. Selbst aus einer ärmeren Familie kommend, wirkt Biden zudem überzeugender und zeigte geschickt die Demarkationslinie, wie er sie nennt, zwischen “Park Avenue”, wo die Reichen leben, und “Scranton” in Pennsylvania auf. Die Wohlhabenden der Parkallee würden “auf uns” und auf die Kohlearbeiter von Scranton herabschauen, meinte Biden.Die beiden Präsidentschaftskandidaten werden sich noch zwei Mal gegenüberstehen und Trump die Chance bieten, bei Wählern zu punkten. Dabei wird er sich nicht mehr nur über die vermeintliche Schwäche seines Gegners mokieren können. Die größten Hürden, die er überwinden muss, sind die eigene Bilanz und das eigene Unvermögen, sachlich vorgetragenen Fakten mit fundierten Argumenten zu begegnen.Tatsache ist, dass während seiner ersten drei Jahre im Amt niedrigere Steuern die Wirtschaft beflügelten. Auch setzte sich der Aufschwung am Arbeitsmarkt fort, der aber unter seinem Vorgänger Obama schon begonnen hatte. Wie Biden zu Recht feststellte, entstanden während Obamas letzten drei Jahren im Amt tatsächlich mehr Jobs als unter Trumps ersten drei. Dann schlug zudem die Corona-Pandemie zu, und obwohl diese nicht auf das Konto des Präsidenten geht, geschah es unter seiner Ägide. Das Argument, dass der gesamtwirtschaftliche Schaden geringer gewesen wäre und man nicht um einen zweiten Einbruch bangen müsste, wenn er schneller auf die Gesundheitskrise reagiert hätte, ist durchaus begründet.