Verpasste politische Reformen sind Gefahr für ganz China

Peking lehnt Nachbesserung strikt ab

Verpasste politische Reformen sind Gefahr für ganz China

Von Ernst Herb, HongkongDer seit langem andauernde Streit über die Hongkonger Wahlrechtsreform ist am Wochenende zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Tausenden Demonstranten und der Polizei eskaliert. Damit steckt das Territorium in der größten politischen Krise, seit es 1997 von Großbritannien an China zurückgegeben worden ist. Doch ist bei dem Ruf nach einer weiteren politischen Öffnung nicht nur die Regierung der wirtschaftlich autonomen Sonderverwaltungsregion herausgefordert, sondern vor allem auch die seit 1949 regierende Kommunistische Partei Chinas.Peking befürchtet, dass der Ruf nach mehr politischer Mitsprache in der Auswahl des Hongkonger Regierungschefs auf das Festland schwappen könnte. Dies ruft Erinnerungen an 1989 wach, als die Armee der jungen Demokratiebewegung auf dem Pekinger Tiananmen-Platz ein blutiges Ende setzte. Die Partei machte damals klar, dass politische Neuerungen in China – wenn überhaupt – nicht auf Druck der Straße, sondern nur auf Anordnung von oben erfolgen.Diese Maxime wird von Tausenden protestierender Hongkonger Bürger in Frage gestellt. Das ist kein Zufall, sondern ergibt sich aus dem komplexen Beziehungsgeflecht, das China und Hongkong unter der Parole “ein Land, zwei Systeme” seit der Wiedervereinigung zusammenhält. Demnach verfügt das Territorium bis 2047 über ein großes Maß an Selbständigkeit, das sich unter anderem in Pressfreiheit, einer eigenen Währung und offenen Debatten im lokalen Parlament ausdrückt. Mittlerweile werden – anders als das während weiter Strecken der 156 Jahre dauernden Kolonialherrschaft der Fall war – auch die Hälfte der Abgeordneten nicht mehr von der Obrigkeit ernannt, sondern vom Volk gewählt.Dies sollte dem Plan zufolge 2017 erstmals für die Wahl des Hongkonger Regierungschefs gelten. Peking stimmt dem auch zu, doch soll zugleich ein leicht beeinflussbares Selektionsverfahren dafür sorgen, dass sich nur der Zentralregierung genehme Kandidaten zur Wahl stellen können. Von den Demonstranten ist das als Etikettenschwindel zurückgewiesen worden. Während die Hongkonger Polizei bisher mit einer abwartenden Taktik eine Deeskalation der Straßenproteste anstrebt, lehnt Peking eine Nachbesserung der Reform strikt ab.Das mag als machtvolle Haltung einer starken Regierung gewertet werden. Doch könnte es ebenso gut als Zeichen der Schwäche angesehen werden. Damit könnte sich rächen, dass nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz der politische Reformprozess zum Stillstand kam, während das Land gleichzeitig infolge der wirtschaftlichen Öffnung einen gewaltigen gesellschaftlichen Wandel durchlaufen hat. Das bedeutet auch, dass die staatlichen Institutionen auch auf dem Festland nicht mehr den Anforderungen besser gebildeter und informierter Bürger entsprechen. Was sich jetzt in Hongkong abspielt, sollte Peking vor Augen führen, dass verpasste politische Reformen nicht nur eine Gefahr für die Stabilität des Territoriums, sondern ganz Chinas sind.