GASTBEITRAG

Verquere Rentendebatte

Die aktuelle Diskussion über eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. eine "Umkehr" früherer Reformen, wie sie aktuell von den Gewerkschaften und von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vom Zaun gebrochen worden ist, hat eine...

Verquere Rentendebatte

Die aktuelle Diskussion über eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. eine “Umkehr” früherer Reformen, wie sie aktuell von den Gewerkschaften und von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vom Zaun gebrochen worden ist, hat eine gefährliche Schlagseite. Um einer potenziellen Altersarmut vorzubeugen, wäre es geradezu fatal, mit aller Gewalt einfach das durchschnittliche Rentenniveau konstant halten zu wollen.Die aktuell gültige Rentenformel darf nämlich unter keinen Umständen verwässert oder abgeschafft werden! Der darin eingebaute Nachhaltigkeitsfaktor bindet schließlich die Rentenhöhe an die Entwicklung des Rentnerquotienten – das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen. Damit wird verhindert, dass eine immer kleinere Arbeitsbevölkerung immer höhere Renten finanzieren muss. Die Wirkung der Rentenreformen der Jahre 2001 und 2003 abzudämpfen, würde nämlich zu einem erheblichen Beitragsanstieg führen. Das wäre unverantwortlich gegenüber der jungen und zukünftigen Generationen.Stattdessen sollte man das Renteneintrittsalter an die durchschnittliche Restlebenserwartung nach Erreichen des 65. Lebensjahres koppeln: Steigt die Restlebenserwartung um ein Jahr, sollte auch das Renteneintrittsalter um ein Jahr steigen. Dies hätte zur Folge, dass wir statt aktuell mit 65 Jahren und fünf Monaten im Jahr 2050 erst mit voraussichtlich 70 Jahren in den Ruhestand gehen. Eine solche Reform würde in Verbindung mit der derzeit gültigen Rentenformel dafür sorgen, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung bis 2040 nur um rund drei Prozentpunkte auf etwa 22 % ansteigen würde – statt auf etwa 25 %. Das Brutto-Rentenniveau würde von derzeit rund 44 % auf etwa 40 % anstelle von 36 % sinken, das Netto-Rentenniveau vor Steuern von derzeit etwa 48 % auf etwa 44 %.Würde es darüber hinaus gelingen, Flüchtlinge und Zuwanderer nach durchschnittlich zehn Jahren in den Arbeitsmarkt zu integrieren, würde dies das Rentenniveau in den Jahren 2030 bis 2040 ebenfalls stützen und die Beiträge weiter stabilisieren. Die junge Altersstruktur von Flüchtlingen kommt unserem Sozialsystem zugute, auch wenn man berücksichtigt, dass die Produktivität der Migranten im Durchschnitt deutlich unter der durchschnittlichen Produktivität heimischer Arbeitskräfte liegt und auch langfristig liegen dürfte. Steuerfinanzierte HilfenEiner möglichen Altersarmut sollte man daher nicht mit dem Einfrieren des Rentenniveaus – koste es, was es wolle – begegnen, sondern etwa durch die Einführung einer steuerfinanzierten Mindestrente. Im Gegensatz zur Grundsicherung würde diese automatisch (und nicht auf Antrag) gezahlt und um den Betrag der Regelaltersrente reduziert. Läge die Mindestrente beim derzeitigen Hartz-IV-Regelsatz von 400 Euro pro Monat und die auf Basis der Rentenformel berechnete Regelaltersrente bei 300 Euro, so würde sich der Betrag, der aus der steuerfinanzierten Mindestrente bezahlt wird, auf 100 Euro reduzieren.Diese Maßnahme sollte durch die Einführung einer Umverteilungskomponente innerhalb der Rentenversicherung nach dem Vorbild der USA flankiert werden. Akkumulierte Entgeltpunkte würden demnach, im Gegensatz zum derzeit in Deutschland geltenden Äquivalenzprinzip, anhand von Umverteilungsfaktoren gewichtet. Dies hätte gegenüber einem strikten Festhalten am Äquivalenzprinzip den Vorteil, dass die Finanzierung von den Rentnern selbst getragen wird und nicht von den Beitragszahlern, die ohnehin schon durch höhere Beitragssätze immer stärker belastet werden.Durch eine Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung würden zudem Lohnrisiken wie etwa die Langzeitarbeitslosigkeit versichert, was durch das allgemeine Steuer- und Transfersystem nur bedingt möglich ist. Eine solche Umverteilungskomponente hat damit auch einen großen volkswirtschaftlichen Wert, der durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten jüngeren Datums belegt wird.Allerdings ist die Sorge vor einer drastisch steigenden Altersarmut ohnehin unbegründet. Die aktuell durch Emotionalität geprägte Diskussion gründet sich unter anderem auf eine jüngst vorgestellte Berechnung des WDR, die davor warnt, dass in Zukunft fast 50 % der Bevölkerung über 65 Jahre Grundsicherung beziehen müssten. Die Berechnungen weisen allerdings mehrere grobe Fehler auf.Mehr Vertrauen ist hier dem wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums zu schenken, der im pessimistischsten Szenario seines 2012 erschienenen Berichtes von einem Anstieg von 2,6 % auf allenfalls 3,1 % ausgegangen ist. Mögliche Reformen wie eine Anpassung des Renteneintrittsalters waren dabei noch gar nicht berücksichtigt. Neustart für PrivatvorsorgeDie private Altersvorsorge dagegen muss in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Wegen angeblich niedriger Renditen ist sie zuletzt zu Unrecht in die Kritik geraten. Besonders mittel- bis langfristig gilt nach wie vor, dass Kapitalrenditen höher sind als die impliziten Renditen des umlagefinanzierten Rentensystems. Von der Einführung einer “Deutschlandrente”, wie von den drei hessischen Landesministern Tarek Al-Wazir (Grüne), Stefan Grüttner und Thomas Schäfer (beide CDU) vorgeschlagen, ist abzuraten, da danach der Staat ein Riesenvermögen verwalten müsste. Dies würde erhebliche ordnungspolitische Risiken bergen und die Effizienz des Marktes aushebeln.Der Vorschlag der drei Minister sieht jedoch auch vor, die private Vorsorge verpflichtend zu machen. Mit diesem begrüßenswerten Ansatz könnte dem Problem begegnet werden, dass insbesondere Geringverdiener bislang zu wenige Riester-Verträge abgeschlossen haben. Außerdem würden damit die derzeit ineffizienten Subventionen obsolet.Eine Pflicht zur Ersparnisbildung sollte folgenden Regelungen unterliegen: Bei Antritt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung muss ein Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft in Höhe eines prozentualen Mindestbeitrags unterzeichnet werden; die Beiträge werden direkt vom Arbeitgeber mit der Auszahlung des Lohnes an das jeweilige Finanzinstitut abgeführt; die private Altersvorsorge sollte in fondsgebundenen Rentenversicherungsprodukten organisiert werden, um dem Niedrigzins-Umfeld möglichst effizient zu begegnen; es besteht jederzeit die Option, den Anbieter oder Vertrag zu wechseln, sowie die Möglichkeit eines “Opting-Out” nach einer gewissen Zeit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung; in diesem Fall muss die Finanzinstitution den angesparten Kapitalwert gutschreiben. Zukunftsfestes SystemFazit: Die derzeit gültige deutsche Rentenformel ist ein gutes Konstrukt, das einen ausgewogenen Kompromiss darstellt. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters durch Kopplung an die Lebenserwartung, eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt, eine Ausweitung der umverteilenden Komponenten des Rentensystems sowie eine Reform der privaten Altersvorsorge sind die zentralen Politikmaßnahmen, um das Rentensystem hierzulande zukunftsfest zu gestalten.—-Alexander Ludwig, Professor für Öffentliche Finanzen und Schuldenmanagement, House of Finance/SAFE, Universität Frankfurt