LEITARTIKEL

Vertane Chance

Die Unfähigkeit der französischen Sozialpartner, sich innerhalb der von Präsident François Hollande gesetzten Frist auf einen Entwurf für die geplante Arbeitsmarktreform zu einigen, wirft kein gutes Licht auf Frankreich. Dabei beobachten...

Vertane Chance

Die Unfähigkeit der französischen Sozialpartner, sich innerhalb der von Präsident François Hollande gesetzten Frist auf einen Entwurf für die geplante Arbeitsmarktreform zu einigen, wirft kein gutes Licht auf Frankreich. Dabei beobachten Ratingagenturen und Investoren sehr genau, wie das Land hier vorankommt.Frankreichs sozialistische Regierung hat das Problem erkannt. Nur wenn ihr die Reform des Arbeitsmarktes gelingt, kann die Wirtschaft zu einem anhaltenden Wachstum zurückfinden und die hohe Arbeitslosigkeit kann gesenkt werden. Seit Jahren schon kritisieren Experten, dass der französische Arbeitsmarkt viel zu verkrustet und das Arbeitsrecht zu rigide ist. Hollande hatte deshalb Gewerkschaften und Arbeitgeber aufgefordert, sich vor Jahresende auf einen Kompromiss zu einigen. Auch wenn es noch immer nicht ausgeschlossen scheint, dass sich die Sozialpartner im Januar auf einen gemeinsamen Entwurf für die geplante Reform verständigen, ist der von Hollande gewünschte “historische Kompromiss” gescheitert. Denn Arbeitgebern und Gewerkschaften ist es nicht gelungen, sich innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist zu einigen. Dabei drängt die Zeit. Immerhin ist die Arbeitsmarktreform nicht die einzige Reform, die Hollandes Regierung 2013 anpacken muss und will. Eine neue Rentenreform ist unausweichlich, zudem will sie den öffentlichen Dienst und das Sozialversicherungssystem reformieren.Ratingagenturen und Investoren beobachten deshalb sehr genau, wie Frankreich mit der Arbeitsmarktreform vorankommt, ob das Land sein Versprechen einhält und eine wirkliche Reform durchzieht – oder ob am Ende doch nur ein Reförmchen herauskommt. Dabei ist die Reform dringender denn je. Denn das Wachstum dümpelt vor sich hin und dürfte auch im ersten Halbjahr 2013 nicht in Fahrt kommen. Die Arbeitslosigkeit hat mit fast 10 % den höchsten Stand seit mehr als 13 Jahren erreicht und dürfte weiter steigen. Frankreich hat innerhalb der letzten Jahre stark an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt und 2011 ein Rekord-Handelsbilanzdefizit von 70 Mrd. Euro verbucht.Gleichzeitig gehen Nachbarländer wie Italien und Spanien bereits Reformen an. Gelingt der Regierung Hollandes die versprochene Reform nicht, könnte Frankreich erneut abgestraft werden. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone nach Deutschland hat in diesem Jahr bereits bei zwei der drei großen Ratingagenturen die “AAA”-Spitzennote verloren. Fitch hat Frankreich zwar noch nicht abgestraft, aber mit einem negativen Ausblick versehen. Nach Ansicht der Ratingagentur ist die Arbeitsmarktreform kurzfristig der wichtigste Glaubwürdigkeitstest für die Regierung.Frankreichs Staatsoberhaupt ist mit der Forderung nach einem “historischen Kompromiss” ein großes Wagnis eingegangen. Die Gründe dafür sind verständlich, denn Hollande weiß, dass ihm die Reform nur gelingen kann, wenn sie von den Sozialpartnern mitgetragen wird. Doch er hat es allen Seiten recht machen wollen. Er hat deshalb den Gewerkschaften einen besseren Schutz von Arbeitsplätzen versprochen und den Arbeitgebern mehr Flexibilität. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit schrecken die Gewerkschaften jedoch vor allem zurück, was Entlassungen vereinfachen könnte. Die kommunistische Gewerkschaft CGT hat bereits gedroht, dass sie mehr Flexibilität nicht zustimmen würde. Für einen Gesetzentwurf der Reform benötigt die Regierung die Zustimmung von mindestens drei der an den Verhandlungen beteiligten Arbeitnehmerorganisationen. Hollande hätte besser daran getan, sich härter zu zeigen und als klares Ziel die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu nennen. Denn nur wenn Unternehmen Arbeitszeiten und den Einsatz von Arbeitskräften innerhalb des Unternehmens der Konjunktur anpassen können, können sie im internationalen Wettbewerb mithalten und schmerzhafte Restrukturierungen vermeiden. Das französische Arbeitsrecht, das einen starken Schutz von Arbeitnehmern vorsieht, schreckt bereits jetzt viele ausländische Unternehmen und Investoren ab.Arbeitgeber und Gewerkschaften haben deshalb nun eine wichtige Chance vertan. Dass sie sich nicht innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist einigen konnten, scheint wieder einmal die alten Vorurteile zu bestätigen, dass die Gewerkschaften oder zumindest ein Teil von ihnen in vergessen geglaubten Klassenkämpfen verstrickt sind. Fast scheint es, als hätten einige Akteure in Frankreich noch immer nicht verstanden, was alles bei der Arbeitsmarktreform für das Land tatsächlich auf dem Spiel steht. ——–Von Gesche Wüpper ——- Fast scheint es, als hätten einige Akteure in Frankreich noch immer nicht verstanden, was alles bei der Arbeitsmarktreform für das Land auf dem Spiel steht.