Vier Tage sind genug
Die Coronakrise hat in der Arbeitswelt vielerorts Veränderungen möglich gemacht, die zuvor nicht denkbar waren. Das Homeoffice beispielsweise galt vielen Unternehmern als verpönt, ging ihnen doch damit die Kontrolle über ihre eigenen Mitarbeiter flöten. Wer konnte schon sicher sein, dass die auch zu Hause – womöglich im Familientrubel – noch zuverlässig arbeiteten? Und auch die ständige Erreichbarkeit der Arbeitnehmer schien dadurch in Frage gestellt zu werden. Doch dann kam die Pandemie, und große Teile der arbeitenden Bevölkerung – soweit ihre Jobs das zuließen – wechselten ins heimische Arbeitszimmer oder gar an den Küchentisch. Und siehe da: Es funktionierte. Nicht nur, dass die Technik meist mitspielte, auch die Arbeit wurde erledigt, und das ganz ohne die Argusaugen des Abteilungsleiters oder Chefs. Studien, die während der Corona-Monate durchgeführt wurden, zeigen sogar, dass im Homeoffice tendenziell mehr gearbeitet wird als im Büro. Höchste Zeit also, über die verfestigten Strukturen in der Arbeitswelt einmal grundsätzlich nachzudenken.Die IG Metall nutzt die Gunst der Stunde für eine weitere Diskussion, welche die Arbeitswelt nachhaltig erschüttern könnte. Sie fordert die Einführung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, um Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie zu retten. Denn im Zuge der Digitalisierung, der Automatisierung und künstlicher Intelligenz drohen viele Jobs verloren zu gehen. Man mag sich jedoch zu Recht fragen – insbesondere als zahlender Arbeitgeber -, wie das gehen soll: einen Tag weniger arbeiten bei gleichem Gehalt? Bislang galten Ideen wie ein (bedingungsloses) Grundeinkommen, Flexibilität in der Arbeitszeit und bewegliche Büros als Steckenpferd von Work-Life-Balance-Fanatikern, klischeehaft meist der sogenannten Generation Y oder Z zuzurechnen, der die persönliche Selbstverwirklichung näher liegt als der gesamtdeutsche Wohlstand.Die Erfahrung mit dem plötzlich ermöglichten Homeoffice inmitten einer Krise hat aber deutlich gemacht, dass vieles möglich ist, was undenkbar schien. Auch eine Vier-Tage-Woche. Wissenschaftler fanden heraus, dass etwa ein Sechs-Stunden-Tag nicht nur nicht schädlich ist, sondern sogar Vorteile bringen kann. Und das nicht nur für die Arbeitnehmer, die mehr Zeit für Freizeit und Familie hätten, sondern auch für die Unternehmer und sogar für die Gesamtwirtschaft. Die Arbeitsproduktivität in Deutschland wächst seit Jahren immer langsamer. Problematisch ist das insbesondere angesichts der aufgrund des demografischen Wandels perspektivisch abnehmenden Erwerbsbevölkerung. Weniger geleistete Arbeitsstunden bei gleichbleibender oder höherer Produktivität wären eine denkbare Lösung. Trotzdem hält die Wirtschaft an alten Strukturen fest. Zur Erinnerung: Der Acht-Stunden-Tag wurde während der Industrialisierung eingeführt, um die Industriearbeiter zu schützen, die bis dato mehr als 70 Stunden in der Woche schufteten. Doch die Zeiten haben sich geändert. Insbesondere die Erfindung des Internets hat dazu beigetragen, dass heute auch andere Arbeitszeitmodelle denkbar sind und teilweise schon umgesetzt werden. Heute gibt es deutlich weniger Fließband- und Akkordarbeit. Immer mehr Aufgaben erfordern Kreativität, kritisches Denken und spontane Problemlösungen. Und, wie der Organisationspsychologe Adam Grant etwa sagt: “Je komplexer und kreativer die Jobs werden, desto weniger Sinn macht es, überhaupt auf die Arbeitsstunden zu achten.” Auch die Effizienz der Arbeitnehmer wird durch kürzere Arbeitszeiten gesteigert. So werden die Mitarbeiter gezwungen, ihre Arbeitsschritte besser zu priorisieren und zu strukturieren, Unterbrechungen zu reduzieren und die Dienstwege zu verkürzen. Die effektiv genutzte Zeit ist zwar absolut gesehen kürzer, sie wird aber besser genutzt. Der amerikanische Softwarekonzern Microsoft hat das in einer aktuellen Studie und einem Versuch im eigenen Haus eindrucksvoll bestätigt: Die Produktivität der Mitarbeiter stieg während der Testphase um 40 %. Und nicht nur das: Die Mitarbeiter sind glücklicher in ihrem Job, sie kommen lieber zur Arbeit und haben den Kopf frei für neue Ideen.Ein ausgereiftes Konzept für eine Vier-Tage-Woche mag es noch nicht geben. Aber Abteilungsleiter und Manager könnten die Coronakrise schon einmal nutzen, um der Kultur des Präsentismus den Rücken zu kehren. Statt zu honorieren, wer am längsten am Schreibtisch sitzt, sollten sie die Produktivität an Ergebnissen messen. Das wäre das richtige Zeichen für die Mitarbeiter – und würde ganz nebenbei wiederum ein schnelleres und effizienteres Arbeiten fördern. ——Von Anna SteinerStatt zu honorieren, wer am längsten am Schreibtisch sitzt, sollten Führungskräfte die Produktivität der Mitarbeiter an Ergebnissen messen.——