BREXIT

Völlig unverfroren

Eigentlich müsste Labour Theresa May dafür dankbar sein, dass sie sich völlig unverfroren daranmacht, das Amt des Premierministers zu übernehmen. Die Eiskönigin, wie sie auch genannt wird, hat nicht vor, Neuwahlen auszurufen. Sie böten ihr zwar die...

Völlig unverfroren

Eigentlich müsste Labour Theresa May dafür dankbar sein, dass sie sich völlig unverfroren daranmacht, das Amt des Premierministers zu übernehmen. Die Eiskönigin, wie sie auch genannt wird, hat nicht vor, Neuwahlen auszurufen. Sie böten ihr zwar die Chance, dem politischen Gegner eine vernichtende Niederlage zuzufügen, aber Labour siecht ohnehin nur noch vor sich hin. Würde man die Briten erneut zu den Wahlurnen rufen, gingen weitere Wochen ins Land, bevor erste Entscheidungen dazu getroffen werden könnten, wie das Land die EU verlassen will. Daran kann niemand Interesse haben.May hat klargemacht, dass sie weder in der Staatengemeinschaft bleiben noch durch die Hintertür wieder eintreten will. Auch eine weitere Volksabstimmung ist für sie kein Thema. Damit gibt es keinen Grund mehr, darauf zu hoffen, dass sich der Brexit doch noch abwenden lässt. Auch für die Briten, die am 23. Juni dagegengestimmt haben, heißt das, dass sie das Beste daraus machen müssen.Den Resteuropäern kann man nur empfehlen, vor etwaigen Strafmaßnahmen gegen die Abtrünnigen über deren Folgen für die eigene Wirtschaft nachzudenken. Wer sagt, dass London erst Artikel 50 des Vertrags von Lissabon in Anspruch nehmen muss, bevor es zu Verhandlungen kommen kann, schadet sich selbst. All das Gerede von der Rosinenpickerei, die man London nicht ermöglichen werde, oder von den Deserteuren, die man nicht mit offenen Armen empfangen werde, demonstriert nur den Realitätsverlust in den Hauptstädten der Eurozone. Der Status quo war schon vor dem britischen Referendum unhaltbar. Davon zeugt die italienische Bankenkrise ebenso wie der rasante Aufstieg des Front National in Frankreich oder die Haltung der Visegrad-Staaten in der noch lange nicht ausgestandenen Flüchtlingskrise. Zudem leidet die wirtschaftliche Erholung nach der Finanzkrise unter Ermüdungserscheinungen.In Brüssel und Berlin scheint es aber eher darum zu gehen, ein zerfallendes Reich um jeden Preis zusammenzuhalten, als darum, mit London zu einer für beide Seiten gangbaren Lösung zu kommen. May setzt angesichts der Herausforderungen, vor denen Großbritannien steht, auf gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wird die Ausländerfeinde in den Reihen der Brexit-Befürworter ebenso enttäuschen wie die libertären Gegner jeder staatlichen Einmischung in die Wirtschaft. Und anders als David Cameron ist sie nicht darauf angewiesen, irgendein Ergebnis aus Brüssel mit nach Hause zu bringen.