Vom Außenseiter zum Regierungschef
Von Thilo Schäfer, MadridWenn Mariano Rajoy der Houdini der spanischen Politik ist, der zahlreichen kritischen Situationen entkommen konnte, bevor der letzte Trick danebenging, dann ist Pedro Sánchez das Stehaufmännchen. Vor gut einem Jahr war der frisch gewählte spanische Ministerpräsident noch ein Arbeitsloser, der sich anschickte, den Vorsitz der sozialistischen Partei PSOE zurückzuerobern. Der 46-Jährige Oppositionsführer wurde in Spanien lange unterschätzt. Mit dem eiskalten Schachzug des Misstrauensvotums, das Rajoy am Freitag aus dem Amt bugsierte, dürfte Sánchez auch die vielen parteiinternen Skeptiker eines Besseren belehrt haben.Der zweifache Familienvater wurde in einer kleinbürgerlichen Familie in Madrid geboren und studierte Wirtschaft und Betriebslehre in Madrid und Brüssel. Später promovierte er und lehrte an einer öffentlichen Universität. Er hatte mehrere Jobs in der Privatwirtschaft, von einem Steuerberater bis zu einem Verbraucherschutzverband, bevor es ihn in die Politik verschlug, zunächst als Assistenten einer Europaparlamentarierin seiner PSOE und des EU-Bosnien-Beauftragten. Er lebte auch für kurze Zeit in den USA, wovon seine guten Englischkenntnisse zeugen. Nach ein paar Jahren im Stadtrat von Madrid zog Sánchez 2009 ins spanische Parlament ein. Als recht unbekannter Hinterbänkler tourte er 2013 durchs ganze Land, um bei sozialistischen Ortsverbänden für seine Kandidatur für die Parteispitze zu werben. Er fuhr im eigenen Auto und schlief oft bei Parteifreunden auf dem Sofa. Die Ochsentour machte sich bezahlt. Im Juli 2014 gewann Sánchez überraschend die Urwahl der PSOE gegen den hoch favorisierten Eduardo Madina. Als neuer Oppositionsführer wollte der Fußballfan von Atlético Madrid höher hinaus. Doch bei der Parlamentswahl im Dezember 2015 gab es einen herben Dämpfer, als die PSOE mit 22 % das schlechteste Ergebnis seit Ende der Franco-Diktatur einfuhr, was freilich auch daran lag, dass mit der Linkspartei Podemos ein starker Konkurrent erstmals ins Unterhaus einzog. Dennoch bekam Sánchez seine Chance, als Rajoy mangels Unterstützung aus taktischen Gründen das Angebot des Königs zur Regierungsbildung ausschlug. Der Sozialist schloss ein Abkommen mit der liberalen Ciudadanos, doch bei der Abstimmung zum Ministerpräsidenten verweigerte ihm Podemos die nötige Unterstützung. Nach der Wahlwiederholung im Sommer 2016 nahm er einen neuen Anlauf auf das Regierungsamt, diesmal mit Hilfe von Podemos und den katalanischen Separatisten. Dabei wurde er jedoch von der eigenen Partei ausgebremst und aus dem Amt gedrängt. Sánchez legte sein Abgeordnetenmandat nieder und arbeitete fortan an seiner Wiederwahl in einer neuen Urwahl. Im Mai 2017 besiegte er Susana Díaz, die Ministerpräsidentin von Andalusien, der Hochburg der Sozialisten im mit 8 Millionen Einwohnern größten Landesteil Spaniens. Ein Teil der PSOE um den früheren Ministerpräsidenten Felipe González und Díaz misstrauen Sánchez bis heute. Er setzt auf einen linken Kurs mit Blick auf Podemos und ist um Annäherung an die katalanischen Separatisten bemüht. “Spanien ist eine Nation, und innerhalb Spaniens gibt es Regionen, die sich ebenfalls als Nation fühlen”, sagte er. Dennoch unterstützte er die Rajoy-Regierung bei der Einführung der Zwangsverwaltung in Katalonien nach der Unabhängigkeitserklärung. Rajoy dankte ihm daher für die “Loyalität”. Das war vor zwei Wochen.