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Vom Regen in die Traufe

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 16.4.2020 Alexander Boris de Pfeffel Johnson (55) ist nicht nur Mitgefühl entgegengebracht worden, als er mit Covid-19 im Londoner Krankenhaus St. Thomas lag. Sheila Oakes, die Labour-Bürgermeisterin von...

Vom Regen in die Traufe

Von Andreas Hippin, LondonAlexander Boris de Pfeffel Johnson (55) ist nicht nur Mitgefühl entgegengebracht worden, als er mit Covid-19 im Londoner Krankenhaus St. Thomas lag. Sheila Oakes, die Labour-Bürgermeisterin von Heanor in Derbyshire erklärte, er habe nichts anderes verdient, nachdem der ehemalige Londoner Bürgermeister auf die Intensivstation verlegt wurde. Steve Hedley, einer der führenden Funktionäre der Gewerkschaft RMT, kündigte an, für den Fall seines Ablebens eine Party zu organisieren. Marcus Ball, der Gründer von “Brexit Justice”, will durch eine offizielle Anfrage an den für das Hospital zuständigen NHS Trust herausfinden, ob der britische Premierminister nicht über seinen Gesundheitszustand gelogen hat. Das Timing seiner Erkrankung sei unter PR-Gesichtspunkten einfach zu perfekt gewesen. Andere gönnen es ihm nicht, sich nun erst einmal auf dem Landsitz Chequers zu erholen. Die Anfahrt dorthin sei keine notwendige Reise gewesen und habe deshalb gegen die Ausgangsbeschränkungen verstoßen, wurde – ohne jede Ironie – von vielen seiner Gegner per Twitter-Botschaft kritisiert. Giftige DebatteWenn Johnson in seinen Amtssitz in 10 Downing Street zurückkehrt, bringt er etwas mit, das ihm bislang fehlte: Gravitas. Das wurde durch die Demut und Dankbarkeit, die er nach seiner Entlassung gegenüber seinen Pflegern zeigte, deutlich. Er kann nicht genug davon haben, denn der ehemalige Journalist von “Times” und “Daily Telegraph” kommt vom Regen in die Traufe. Eigentlich hatte er nach seinem erdrutschartigen Wahlsieg im Dezember vergangenen Jahres darauf gehofft, durchregieren zu können. Stattdessen erinnert die zunehmend giftig geführte Debatte um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie immer mehr an die Auseinandersetzungen um den Brexit. Dazu gehören auch die anhaltenden Forderungen unversöhnlicher Austrittsgegner nach einer Verlängerung der Übergangsphase über das Jahresende hinaus. Regierung an allem schuldLabours neuer Führer, Keir Starmer, macht es Johnson nicht so einfach wie sein glückloser Vorgänger Jeremy Corbyn. Was auch schiefgeht, es wird der Regierung in die Schuhe geschoben. Das marode staatliche Gesundheitswesen ist zwar mehr oder weniger selbstverwaltet. Aber wenn es dort an OP-Masken oder Handschuhen mangelt, sind natürlich nicht die hoch bezahlten Funktionäre des National Health Service (NHS) dafür verantwortlich, sondern die verhassten Tories. Treten solche Probleme in Pflegeheimen auf, die sich oft in privater Trägerschaft befinden, wird nicht von den Betreibergesellschaften Rechenschaft verlangt, sondern von Johnsons Gesundheitsminister Matt Hancock. Er ist natürlich auch schuld, wenn Beatmungsgeräte von heimischen Unternehmen einem Aufruf der Regierung folgend in Windeseile produktionsreif gemacht, von der ausufernden Gesundheitsbürokratie aber noch nicht zugelassen wurden. Und schon treten im vermeintlich in Treue fest hinter Johnson stehenden Kabinett Risse auf. Hancock will nicht für den Zusammenbruch des NHS verantwortlich gemacht werden, sollte es nach einer Lockerung der Ausgangsbeschränkungen mehr Infizierte geben. Schatzkanzler Rishi Sunak fürchtet dagegen, dass die britische Wirtschaft irreparablen Schaden nehmen wird, sollte der Shutdown noch lange weitergehen.Und die Opposition verlangt zu allem Überfluss auch noch mehr Transparenz und ein Konzept für die Zeit danach. Das sind auch für einen Nachfahren von König George II (1683 bis 1760) wie Johnson steile Anforderungen. Nun dürfte sich rächen, dass er anfangs die Verantwortung für die Bewältigung der Pandemie nur allzu gerne an Experten abgegeben hat, die vielleicht sehr viel über die mögliche Ausbreitung eines Virus sagen können, nicht aber über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer monatelangen Stilllegung weiter Teile der Gesellschaft. Noch kann sich Johnson über erstaunliche Zustimmungswerte freuen. Doch um seinen Job beneiden wird ihn derzeit keiner.