LEITARTIKEL

Von wegen Sozialklimbim!

Es ist ein gigantisches System zur Steuerhinterziehung und anderer krimineller Machenschaften, das mit der Veröffentlichung der Panama Papers aufgedeckt worden ist. Terroristen, Politiker und Superreiche verschleiern, verstecken und verlagern...

Von wegen Sozialklimbim!

Es ist ein gigantisches System zur Steuerhinterziehung und anderer krimineller Machenschaften, das mit der Veröffentlichung der Panama Papers aufgedeckt worden ist. Terroristen, Politiker und Superreiche verschleiern, verstecken und verlagern Millionen und Milliarden über Briefkastenfirmen und Trusts via Steueroase Panama, um der Strafverfolgung, dem Fiskus oder der Öffentlichkeit zu entgehen. Die Dimension, die sich hier auftut, ist so gewaltig, dass sie das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem erschüttert und Zweifel nährt an der Fähigkeit – vielleicht sogar am Willen – der Politik, diese Umtriebe zu stoppen. Zwar sind Briefkastenfirmen, das gilt es festzuhalten, grundsätzlich nicht verboten, in mancher Hinsicht sogar notwendig. Und für alle Nutzer gilt die Unschuldsvermutung. Aber die Erfahrung lehrt, dass die Motive dahinter oft kriminell, und häufig unlauter sind. Im Gebaren der Akteure zeigen sich überdies die Auswüchse eines ungezügelten Kapitalismus.Die jetzt bekannt gewordenen Verstrickungen verschärfen zudem den Ton in der laufenden Ungleichheitsdebatte, in der vor der Herausbildung einer regelrechten Finanzaristokratie gewarnt wird, die sich nicht um nationale Regeln schert und vom Rest der Gesellschaft abkoppelt. Die Sorge wird auch in Deutschland geäußert, wo nach einer Studie der Bundesbank 10 % der vermögendsten Haushalte inzwischen rund 60 % des Gesamtvermögens besitzen. Die Vermögensungleichheit sei hier so hoch wie in fast keinem anderen Land in Europa, heißt es. Zwar ist dies auch der fehlenden Aktienkultur zuzuschreiben, zudem hagelt es Kritik an der Bundesbankstatistik, weil die Rentenanwartschaften, die eher Normalverdienern zugutekommen, ausgeklammert werden, aber dafür wurden die “Supersuperreichen” (Bundesbank) ebenfalls nicht erfasst.Auch am anderen Ende der Einkommensskala zeigen sich Abkopplungstendenzen, was vielleicht noch schlimmer ist: Der soziale Aufstieg ist blockiert, Klassengrenzen verfestigen sich – anders als es die Marktwirtschaft verspricht. Die Industriestaatenorganisation OECD warnt inzwischen vor Wachstumsverlusten, die Citibank und Ratingagenturen vor einem “Vox-populi-Risiko”, weil die Forderungen nach sozialem Wandel immer lauter werden.Zu lange haben die Ökonomen die Klage über Ungleichheit als Sozialklimbim abgetan und die Differenzen – fixiert auf ihre Modelle – allein mit Unterschieden in der Arbeitsproduktivität und Kapitalallokation erklärt. Ein gewisses Maß an Ungleichheit ist auch durchaus notwendig, weil sie Anreize bietet, Risiken einzugehen und mehr zu arbeiten. Auf der einen Seite aber Gewerkschaften zu belehren, ihre Lohnforderung nur ja an der Produktivität auszurichten, auf der anderen Seite aber obszön hohe Einkommen im Management als “Marktergebnis” zu verteidigen, ist geradezu unverfroren. Neuen Daten zufolge hat das Salär der Dax-Vorstände zwischen 2005 und 2015 im Schnitt um 55 % zugelegt, während das Gehalt der Tarifangestellten nur um 27 % gewachsen ist. Alles nur eine Frage der Leistung?Die Wirtschaft, so mahnte schon der frühere Finanzminister Peer Steinbrück während der Hochphase der Finanzkrise, agiere auf einem Fundament, das sie nicht selber gegossen habe. Hierzu gehöre die Akzeptanz der breiten Bevölkerung im Hinblick auf die Soziale Marktwirtschaft, der Demokratie und unserer Rechtsordnung. Es müsse das Gefühl vorherrschen, dass es gerecht zugeht im Staat. Sonst gibt das populistischen Strömungen Rückenwind und die etablierte Ordnung wird infrage gestellt. Letzteres lässt sich schon jetzt beobachten.Die Politik muss also schnell handeln, damit sich in der Bevölkerung zumindest wieder das Gefühl der Chancengerechtigkeit einstellt. Notwendig sind hierbei etwa mehr Investitionen in Bildung, um den sozialen Aufstieg zu erleichtern. Das geschieht viel zu wenig. Denn die Erträge dieser Ausgaben zeigen sich erst nach 10 oder 20 Jahren. Die Politik lässt sich darum lieber heute für die Rente mit 63 feiern, die später indes neue soziale Lasten nach sich zieht. Reichtum darf sich ferner nicht dynastisch verfestigen. Es muss also – anders als bisher – ohne politische Scheuklappen über eine neue Erbschaftssteuer diskutiert werden. Zugleich müssen die Steuergesetze vereinfacht und damit hinterziehungsfest gemacht werden. Auch die Unternehmen, die von der Sicherheit und Ordnung im Staat profitieren, sollten sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen und explizit für ihr Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft werben.——–Von Stephan LorzDie Panama Papers werden den Ton in der Debatte über die soziale Ungleichheit in Deutschland verschärfen. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft erodiert.——-