AUS DEM BUNDESBANK-MONATSBERICHT APRIL

Vorsicht vor Fokus auf Outputlücke

Notenbank betont große Unsicherheit bei Schätzungen - Konsequenzen für Geld- und Fiskalpolitik

Vorsicht vor Fokus auf Outputlücke

Die EZB verweist verstärkt auf die Unterauslastung der Euro-Wirtschaft, wenn sie ihre ultralockere Geldpolitik rechtfertigen will. Die Bundesbank mahnt aber zur Vorsicht – das Konzept könne in die Irre führen.ms Frankfurt – Die Bundesbank hat davor gewarnt, bei der Entscheidung über die Geldpolitik zu großes Gewicht auf Schätzungen zur sogenannten Produktionslücke zu legen – weil diese mit großer Unsicherheit behaftet seien. In ihrem neuen Monatsbericht verweist sie darauf, dass es vor allem auf kurze Sicht große Diskrepanzen zwischen verschiedenen Schätzungen zur Produktionslücke gebe und diese zudem revisionsanfällig seien. Angesichts dieser Probleme sei “große Vorsicht im Umgang mit derartigen Schätzungen geboten”. Das gelte allgemein für die wirtschaftspolitische Praxis, aber auch konkret für die Geldpolitik. Umstrittenes KonzeptDie Analyse ist äußerst bemerkenswert, weil die Unterauslastung der Kapazitäten der Euro-Wirtschaft in der Kommunikation der Europäischen Zentralbank (EZB) zuletzt stark an Bedeutung gewonnen hat. Notenbankchef Mario Draghi hatte sie nach der Sitzung Anfang März erstmals explizit als Grund für die aktuelle Niedrigzinspolitik und andere, unkonventionelle Maßnahmen sowie für mögliche weitere Schritte angeführt. Anfang April hatte er das noch einmal verstärkt. Diese Lücke spreche dafür, dass es in der Eurozone absehbar keinen Preisdruck gebe.Zwar betont auch EZB-Präsident Draghi stets die Unsicherheit, die mit solchen Schätzungen verbunden sei. In ihrem Monatsbericht November hatte die EZB zudem selbst von “großer Unsicherheit” gesprochen und zugleich analysiert, dass der Zusammenhang zwischen Konjunktur- und Inflationsentwicklung in den vergangenen Jahren schwächer ausgeprägt gewesen sei. Allerdings verweist Draghi darauf, dass alle aktuellen Schätzungen davon ausgingen, dass die Lücke in der Währungsunion aktuell groß sei.Andere Notenbanken gehen sogar noch weiter. Die Bank of England etwa hat Mitte Februar die Unterauslastung in den Mittelpunkt ihrer Begründung zur aktuell expansiven Geldpolitik gestellt und sogar eine konkrete Schätzung abgegeben: Sie setzte die Differenz zwischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Produktionspotenzial mit 1 bis 1,5 % an.Unter Volkswirten ist das Konzept aber umstritten. Ende des vergangenen Jahres hatte der Top-Ökonom der Bank der Notenbanken BIZ, Claudio Borio, im Interview der Börsen-Zeitung bereits davor gewarnt, das Produktionspotenzial und damit diese Lücke zu überschätzen und dadurch falsche Schlüsse zu ziehen (vgl. BZ vom 11.12.2013). Ähnlich hatte sich in der Vergangenheit auch Ex-EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing wiederholt geäußert.Auch die Bundesbank mahnt bei diesem Argument nun zur Vorsicht. Die Experten der Notenbank verweisen darauf, dass sich in der Vergangenheit sowohl einfache als auch komplexere Verfahren zur Ableitung der Produktionsmöglichkeiten einer Wirtschaft “als wenig zuverlässig erwiesen” hätten. Der Umfang späterer Revisionen habe oftmals dem Ausmaß der zuvor ermittelten Lücke selbst entsprochen. Auch die Schätzungen internationaler Organisationen wie des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Industrieländerorganisation OECD könnten “keineswegs als verlässlicher” gelten.Als Beispiel verweisen die Experten etwa darauf, wie die Schätzung der Lücke für die US-Wirtschaft im Jahr 2002 im Zeitablauf korrigiert wurde (siehe Grafik). Rund um diese Schätzung hatte sich Anfang der 2000er Jahre eine Debatte entzündet über Deflationsgefahren in den USA. Die US-Notenbank hatte darauf mit einer langen Phase sehr niedriger Leitzinsen reagiert. Diese lockere Politik gilt heute vielen als mitverantwortlich für die Exzesse, die letztlich in der Finanzkrise mündeten.Mit Blick auf die große Diskrepanz zwischen den Schätzungen der Produktionslücken schreibt die Bundesbank, das lege “die Vermutung nahe, dass die Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten möglicherweise nicht so stark ausgeprägt ist, wie vielfach angenommen wird”. Nach einer Rezession brauche es einige Zeit zu erkennen, dass Teile der Outputverluste permanent seien oder dass vorangegangene Booms gar nicht nachhaltig gewesen seien.Die Bundesbank warnt aber nicht nur davor, wegen falscher Schätzungen der Produktionslücke eine zu lockere Geldpolitik zu betreiben. Konkrete Auswirkungen fürchtet sie auch auf die Fiskalpolitik. Es bestehe “die Gefahr, dass bei Fiskalregeln, die auf konjunkturbereinigte Finanzierungssalden abzielen, die gewünschte Schuldeneindämmung aufgrund einer regelmäßigen Überschätzung des Produktionspotenzials verfehlt wird”. Hessen als VorbildSie plädiert deshalb für ein “Konjunkturausgleichskonto”, wie es etwa die hessische Schuldenbremse vorsehe. Sollte sich nach einem längeren Zeitraum in der Größenordnung eines Konjunkturzyklus – in etwa von acht bis zehn Jahren – zeigen, dass die Konjunkturkomponenten im Durchschnitt nicht ausgeglichen gewesen seien, “könnte der Verschuldungsspielraum für die Folgeperiode entsprechend vergrößert oder verringert werden”.