Wachstum trotz Votum für den Brexit

Großbritanniens Unternehmen haben im abgelaufenen Quartal mehr investiert als Volkswirte auf der Rechnung hatten

Wachstum trotz Votum für den Brexit

Die britische Wirtschaft hat den Volksentscheid für den EU-Austritt gut weggesteckt. Die Erstschätzung für ein Wachstum von 0,5 % wurde nun vom Statistikamt ONS bestätigt. Unternehmen ließen sich durch die politische Unsicherheit rund um den Brexit ebenso wenig von Investitionen abhalten wie die privaten Haushalte vom Konsum.Von Andreas Hippin, LondonDas Wachstumstempo der britischen Wirtschaft hat sich allen Untergangspropheten zum Trotz nach dem EU-Referendum nur unwesentlich verlangsamt. Wie das Statistikamt ONS mitteilt, stieg das Bruttoinlandsprodukt zwischen Juli und September um 0,5 % zum Vorquartal. Damit wurde die erste Schätzung bestätigt. Vor deren Veröffentlichung hatten Volkswirte im Schnitt 0,3 % auf der Rechnung, die Bank of England hatte lediglich 0,2 % angesetzt – um so viel wuchs die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal. Zwischen April und Juni expandierte die britische Wirtschaft um 0,7 %.Die Verbraucher glaubten offenbar weder an einen bevorstehenden Zusammenbruch des Häusermarkts noch daran, dass es demnächst zu Massenarbeitslosigkeit kommen wird. Der Einzelhandelsumsatz stieg um 1,9 %. Im vorangegangenen Quartal hatte er um 1,1 % zugelegt. Einer Umfrage des Unternehmensverbands CBI zufolge ist der branchenweite Absatz im November so stark gewachsen wie zuletzt im September 2015. Allerdings dürfte sich die Abwertung des Pfunds früher oder später in den Preisen niederschlagen. “Während wir kurzfristig ordentliches Wachstum erwarten, haben Einzelhändler bereits ein Auge auf die kommenden Preiserhöhungen und deren Auswirkungen auf das Ausgabeverhalten der Verbraucher”, sagte die CBI-Chefvolkswirtin Rain Newton-Smith. Keine SchockstarreAuch die Unternehmen verharrten angesichts der politischen Unsicherheit rund um den Brexit nicht in Schockstarre. Die Investitionen zogen im dritten Quartal um 0,9 % an, etwas weniger als im vorangegangenen Quartal (+1,0 %), aber deutlich mehr als die 0,6 %, die von Reuters befragte Volkswirte auf der Rechnung hatten. Darren Morgan, der beim ONS für die Statistik verantwortlich zeichnet, geht davon aus, dass der Großteil dieser Investitionsentscheidungen schon vor dem Tag der Volksabstimmung getroffen wurde.Tatsächlich ist das Land zweigeteilt. Wer gegen den Brexit war, ist trotz der bislang positiven Entwicklung meist negativ gestimmt. Wer im Juni für die Loslösung von Brüssel gestimmt hat, feiert immer noch. Aus Sicht von Barclays zeigen die Daten, dass die Unternehmen auf die hohe Unsicherheit “unterreagiert” haben. Man könnte auch sagen, dass sie sich von den Schreckensszenarien nicht haben beeindrucken lassen, die vor der Abstimmung kursierten: steigende Zinsen, höhere Steuern etc. Die Barclays-Ökonomen Andrzej Szczepaniak und Fabrice Montagne gehen aber weiterhin davon aus, dass die britischen Unternehmen ihre Investitionen mittelfristig zurückfahren werden.Das Office for Budget Responsibility (OBR) korrigierte zuletzt seine Prognose für 2016 um 10 Basispunkte auf 2,1 % nach oben. Für das kommende Jahr senkten die Volkswirte des unabhängigen Haushaltswächters ihre Schätzung dagegen von 2,2 auf 1,4 % – das Niveau der IWF-Prognose für Deutschland, um 2019 wieder bei 2,1 % anzukommen (siehe Grafik). “Die britische Regierung hat ihre Wachstumserwartungen nach unten revidiert”, resümierte Paul Donovan, Global Chief Economist bei UBS Wealth Management in seinem morgendlichen Marktüberblick. “Aber natürlich kehrt dabei das Wachstum auf Zweijahressicht zum Trend zurück, weil die britische Regierung immer davon ausgeht, dass das Wachstum auf Zweijahressicht zum Trend zurückkehrt.”