STIMMUNGSLAGE ZUR EUROPAWAHL 2014

Wahlaufruf aus der Wirtschaft

Deutschlands grenzüberschreitend tätiger Unternehmens- und Finanzsektor fürchtet ein gelähmtes Europa

Wahlaufruf aus der Wirtschaft

Stell Dir vor, es ist Europawahl und keiner geht hin: Diese Sorge treibt die europäische und besonders die deutsche Wirtschaft um. Denn eine niedrige Wahlbeteiligung gibt Protestparteien Auftrieb. Eine Stimmungsübersicht für Europa – zunächst aber der Blick auf Deutschland.Von Angela Wefers, BerlinDie gut gemeinte Aktion legt die Malaise offen. Wenige Tage vor der Europawahl hat unter anderem der Verband der privaten Banken BdB zum Urnengang aufgerufen. “In keinem anderen Teil der europäischen Wirtschaft hat sich die Handlungswilligkeit und die Handlungsfähigkeit der europäischen Institutionen so massiv bewiesen wie im Bankensektor”, konstatierte BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. “Wir rufen deshalb voller Überzeugung die Bürgerinnen und Bürger, vor allem aber auch unsere eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf, sich an der Europawahl am Sonntag zu beteiligen.” Der Aufruf ist Ausdruck der Sorge, eine geringe Wahlbeteiligung gebe antieuropäischen Kräften im Europäischen Parlament Auftrieb.Der Bankenverband ist in guter Gesellschaft mit weiten Teilen der deutschen Wirtschaft. Die europäischen Institutionen bestimmen immer stärker nationale Rahmenbedingungen, auch für die Unternehmen – aber die Deutschen beachten die Wahl zum Europäischen Parlament immer weniger. Während bis 1994 die Wahlbeteiligung noch bei 60 % lag, sank sie bei den Europawahlen 2004 und 2009 auf 43 %. Von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren Protestparteien, die ihre Anhänger besser mobilisieren können.Mit der Alternative für Deutschland (AfD) tritt auch hierzulande erstmals eine solche Partei an, die mit ihrem europakritischen Kurs in Richtung Spalten statt Versöhnen unterwegs ist. Ihre zentrale Forderung ist: die europäische Währungsunion aufzulösen, zumindest aber die Eurozone währungspolitisch vollständig neu zu ordnen. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist dies eine Horrorvorstellung. Umfragen sehen die AfD bei 6 % bis 7 %, also locker jenseits früherer Sperrklauseln, die das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr noch gekippt hatte.Nutznießer dieser höchstrichterlichen Entscheidung dürfte nun ausgerechnet die FDP sein, die seit dem Debakel im Herbst bei der Bundestagswahl in den Umfragen weiterhin bei 3 % bis 4 % verharrt. CDU/CSU liegen in den Prognosen ein wenig unter dem Spitzenergebnissen vom Herbst, SPD und Grüne etwas über ihrem enttäuschenden Resultat. Die Linke bewegt sich auf unverändertem Niveau. Die unbekannte Größe, die Prognosen so schwierig macht, sind auch diesmal die Nichtwähler.Das Desinteresse der Bürger kommt nicht von ungefähr. Statt ein konkretes Bild der Zukunft Europas zu entwerfen, führen die etablierten Parteien einen lahmen Wahlkampf, der sogar weniger kostet, als aus der Erstattung zu erwarten ist. Manche betreiben Volksverdummung. Die CDU etwa plakatiert zugkräftige Kandidaten, die nicht zur Wahl stehen: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr deutscher Spitzenkandidat David McAllister bleibt unsichtbar.”Wer stabile Banken will, muss mehr Europa wollen!”, proklamiert der Bankenverband. Nach mehr als 40 europäischen Gesetzgebungsinitiativen seit Ausbruch der Finanzkrise weiß der BdB, wo die Musik spielt.