Wegweisende Einigung auf größtes Finanzpaket der EU-Geschichte

Gipfel ringt sich zu Wiederaufbaufonds und Haushaltsrahmen durch - Kritiker befürchten Transferunion

Wegweisende Einigung auf größtes Finanzpaket der EU-Geschichte

ahe/ms/ba Brüssel/Frankfurt – Nach einem der längsten Gipfeltreffen in der europäischen Geschichte haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs gestern auf ein Finanzpaket für die Jahre 2021 bis 2027 von gut 1,8 Bill. Euro verständigt. Es setzt sich zusammen aus dem regulären EU-Haushalt in dieser Zeit sowie einem 750 Mrd. Euro schweren Wiederaufbaufonds, der die Folgen der beispiellosen Wirtschaftskrise nach der Corona-Pandemie abfedern soll. Wie am Montag bereits bekannt geworden war, beinhaltet der Fonds, für den die EU langfristig Schulden aufnehmen will, nicht rückzahlbare Zuschüsse in Höhe von 390 Mrd. Euro sowie Kredite.Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sprach von einem “historischen Tag für Europa”. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich ebenfalls zufrieden. Der Gipfel habe eine Antwort auf die größte Krise seit Bestehen der Europäischen Union gegeben, betonte sie. Deutschland muss sich nach dieser Einigung allerdings nicht nur darauf einstellen, den größten Anteil an dem Wiederaufbauprogramm zu zahlen, sondern auch auf höhere Beiträge zum EU-Haushalt. Aus Regierungskreisen hieß es gestern, der deutsche Bruttobeitrag – also ohne die entsprechenden Rückflüsse aus Brüssel und einschließlich Zöllen und Zuckerabgaben – werde ab 2021 bei etwa 40 Mrd. Euro im Jahr liegen und damit rund 10 Mrd. Euro über der bisherigen Summe.Durchaus kritisch zu den Gipfelbeschlüssen äußerte sich der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing. Zwar habe Europa seine grundsätzliche Handlungsfähigkeit bewiesen, aber er habe Zweifel, ob der gefundene Kompromiss Europa wirklich voranbringe, sagte Issing im Interview der Börsen-Zeitung. Möglichst viel Geld ausgeben bei möglichst geringer Kontrolle – “so macht man Europa nicht krisenfest!”, sagte Issing: “Das widerspricht jeglicher historischen Erfahrung.” Mit den Beschlüssen gehe Europa zudem in Richtung einer Transfer- und letztlich auch einer Schuldenunion. “Das ist äußerst bedenklich”, sagte der Präsident des Center for Financial Studies (CFS) in Frankfurt.Wohlwollend aufgenommen wurden die Gipfelergebnisse hingegen von der deutschen Wirtschaft. Die Verbandschefs dringen nun insbesondere auf eine rasche Umsetzung der Beschlüsse. Die Verhandlungen hätten auch Schwächen der EU und die Reformnotwendigkeit aufgezeigt. Während Ines Kitzing, 1. Vizepräsidentin des Außenhandelsverbands BGA, dabei auf die Abschaffung der Einstimmigkeit bei bestimmten Entscheidungen zielt, erwarten Ökonomen aus dem gefundenen Kompromiss Anregungen für Strukturreformen insbesondere der wachstumsschwachen EU-Mitgliedsländer. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier drang darauf, dass die Gelder noch in diesem Jahr fließen. Er äußerte sich optimistisch, dass 2021 alle EU-Mitgliedsländer wieder in Wachstumsphasen eintreten werden.In Italien und Spanien, den beiden größten Profiteuren des Wiederaufbaufonds, stieß die Verständigung auf breite Zustimmung. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez feierte das Abkommen als “einen wahren Marshallplan”. Der Kompromiss muss nun allerdings vom Europaparlament und von den 27 nationalen Parlamenten gebilligt werden.