LEITARTIKEL

Welche Bremse zieht?

Die Nachrichten zur Gesundung der Staatsfinanzen überschlagen sich und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) frohlockt. Die Schuldenbremse werde drei Jahre früher eingehalten als nötig - bereits 2013. Schon 2014, so eine weitere gute...

Welche Bremse zieht?

Die Nachrichten zur Gesundung der Staatsfinanzen überschlagen sich und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) frohlockt. Die Schuldenbremse werde drei Jahre früher eingehalten als nötig – bereits 2013. Schon 2014, so eine weitere gute Nachricht, soll der Bundeshaushalt strukturell ausgeglichen sein. Nach EU-Fiskalvertrag ist der Etat bereits im Lot.Von der jüngsten Neuigkeit war wohl auch der Minister überrascht: Deutschland wird nach dem Maastricht-Kriterium 2012 einen ausgeglichenen Etat erreichen. Im Sommer sah dies noch anders aus. Verwirrenderweise steigt nun in diesem Jahr das Defizit des Gesamtstaates nach der Finanzstatistik mit erwarteten knapp 27 Mrd. Euro sogar etwas über das Vorjahresniveau, obwohl das Maastricht-Defizit in der gleichen Zeit von 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf null sinkt. 2013 und 2014 steigt das Maastricht-Defizit wieder auf einen halben BIP-Punkt, während der Finanzierungssaldo gleichzeitig sinkt.Die Krux liegt in der Vielzahl der Rechengrößen, die zur Kontrolle der Staatsfinanzen dienen: das Maastricht-Defizit, die deutsche Schuldenbremse mit konjunkturbereinigtem strukturellen Defizit, der EU-Fiskalvertrag mit ebenfalls strukturellem, aber anders berechneten Defizit und schließlich noch der Finanzierungssaldo – sprich, was wirklich in der Kasse ist oder dort fehlt. Zudem gelten diverse Schwellenwerte: bei der deutschen Schuldenbremse 0,35 % des BIP für den Bundesetat von 2016 an und null für die Länder ab 2020. Die Europa-Schuldenbremse begrenzt das Defizit auf 0,5 %. Das Maastricht-Limit liegt bei 3 %.Zu beachten sind zudem die verschiedenen staatlichen Ebenen: Manchmal geht es nur um den Bundeshaushalt, bei Maastricht-Kriterium oder EU-Fiskalvertrag immer um den Gesamthaushalt von Bund, Ländern, Gemeinden samt Sozialversicherungssystemen. So kann es sein, dass nach dem Maastricht-Kriterium der Staatshaushalt ausgeglichen ist, der Bundeshaushalt aber noch defizitär. Im konkreten Fall 2012 sind es die Sozialversicherungen, die für Ausgleich sorgen. Die gute Lage am Arbeitsmarkt hat dort für Überschüsse gesorgt, die das Defizit beim Bund kompensieren. Sinken im nächsten Jahr die Rentenversicherungsbeiträge und die Mittel im Gesundheitsfonds, wendet sich das Blatt wieder, ohne dass Bundeshaushalt und Nettokreditaufnahme dadurch berührt wären. Außerdem lässt Maastricht finanzielle Transaktionen außen vor. Wesentliche Lasten schultert der Bund in diesem Jahr zur Kapitaldotierung beim Euro-Rettungsfonds ESM und der Europäischen Investitionsbank EIB. Da zugleich die Beteiligung steigt und damit das Staatsvermögen, gilt die Transaktion als neutral.Bei Schuldenbremse und EU-Fiskalvertrag wird das Defizit – anders als bei Maastricht – um konjunkturelle Effekte bereinigt. Das EU-Verfahren wendet hierzulande nur der Bund zwingend an. Die Länder sind dagegen frei. Finanzielle Transaktionen bleiben auch dort außer Betracht, sodass etwa Privatisierungen nicht bei der Einhaltung der Schuldenbremsen helfen. Zugleich zieht die Europa-Schuldenbremse weniger als die deutsche: Während EU-weit “temporäre fiskalische Effekte” bereinigt werden dürfen, ist dies hierzulande ausgeschlossen, weil der schwammige Begriff die Etatpolitik zu dehnbar machen würde. Zu denken ist bei den “Effekten” an Erlöse aus Lizenzversteigerungen, Ausfälle aus Steueramnestien oder Kosten für Naturkatastrophen.——–Von Angela Wefers ——-Das Wirrwarr bei den Kennziffern der Staatsverschuldung stellt den Nutzen als politisches Steuerungsinstrument in Frage.