KONJUNKTUR UND POLITIK

Weltenretter im feinen Zwirn

Finanzminister und Notenbanker haben quasi als "Superhelden-Dream-Team" die Weltwirtschaft vor dem Absturz bewahrt. Aber auch die Post-Covid-Welt birgt viele Herausforderungen.

Weltenretter im feinen Zwirn

Von Mark Schrörs, FrankfurtDie Covid-19-Pandemie ist nicht nur eine der schlimmsten gesundheitlichen Notlagen und humanitären Krisen, mit denen die Menschheit seit einem Jahrhundert konfrontiert ist. Sie hat zugleich eine beispiellose Wirtschaftskrise ausgelöst. Dank des ebenso beispiellosen Einsatzes der Fiskal- und Geldpolitik, deren Protagonisten sich quasi zu den Rettern der Welt(wirtschaft) aufgeschwungen haben, aber auch wegen der Aussicht auf Impfstoffe ist zum Jahreswechsel zwar die Hoffnung begründet, dass es 2021 auch wirtschaftlich wieder bergauf geht. Die Unsicherheit ist aber extrem groß – und die langfristigen Folgen auch für das weltweite Wirtschaften sind allenfalls zu erahnen.In Sachen Schärfe und globaler Synchronizität stellt der wirtschaftliche Abschwung infolge der Coronakrise sogar die Große Depression der 1930er Jahre in den Schatten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2020 einen Einbruch der globalen Wirtschaftsleistung um satte 4,4 %. Hunderte Millionen Menschen haben weltweit ihren Job verloren. “Eine Krise wie keine zuvor” nannte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa die Coronakrise – und das zu Recht.Dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, liegt vor allem daran, dass es auch eine wirtschaftspolitische Reaktion gab wie nie zuvor. Die Zentralbanken fluteten Wirtschaft und Finanzmärkte. Die Bilanzen der Fed (USA), EZB (Euroland), Bank of Japan und Bank of England werden zwischen Dezember 2019 und Dezember 2020 wohl von zusammen rund 16,5 Bill. Dollar auf 25 Bill. Dollar angeschwollen sein. Zugleich mobilisierten die führenden Volkswirtschaften bislang die gigantische Summe von rund 13 Bill. Dollar an fiskalischen Hilfen.Die damalige IWF-Chefin und heutige Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hatte nach der Weltfinanzkrise 2008/2009 die Notenbanker als “Helden der Krise” bezeichnet. In der Coronakrise brauchte es dagegen ein “Dream-Team” aus “Superhelden” im feinen Zwirn – das Tandem aus Finanzministern und Notenbankern. Im Jahr 2021 könnte es jetzt eine wirtschaftliche Erholung geben, die stärker ausfällt, als viele erwarten.Die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren ist neben dem Einsatz der Wirtschaftspolitik aber insbesondere auch der Aussicht auf Impfstoffe zu verdanken. Ähnlich wie in der Fiskal- und Geldpolitik hat die Krise auch in Sachen Impfstoffe Entwicklungen gezeitigt, die einer Art Revolution gleichen. Wo es sonst oft bis zu zehn Jahre braucht, um einen Impfstoff zu entwickeln, zu testen, zuzulassen und zu verteilen, ist das jetzt womöglich in 18 Monaten geschafft.Zugleich haben aber gerade die letzten Tage des Jahres mit der Entdeckung eines mutierten Coronavirus veranschaulicht, wie groß die Unsicherheit über den weiteren Pandemieverlauf ist – der aber entscheidend ist für Wohl und Wehe der Weltwirtschaft. “Unsicherheit ist die neue Normalität”, sagt IWF-Chefin Georgiewa. Die (wirtschafts-)politischen Entscheider stehen vor einer Gratwanderung – zwischen der weiter dringend nötigen Unterstützung der Wirtschaft und der perspektivisch gebotenen Normalisierung ihrer Politik. Und das in einer ohnehin zunehmend komplexen und fragilen Welt.Zusätzlich erschwert wird alles Handeln dadurch, dass die langfristigen Folgen der Pandemie alles andere als klar sind. Sicher scheint nur so viel: Die Post-Covid-Welt wird anders aussehen. Teilweise dürfte die Krise bestehende sozioökonomische Trends beschleunigen. Teilweise zeichnen sich aber auch radikale Veränderungen ab, tektonische Verschiebungen für die Weltwirtschaft.Die Coronakrise hat beispielsweise die Digitalisierung des Alltagslebens und des Arbeitens rasant forciert, und es wäre eine Illusion zu glauben, dass mobiles Arbeiten, virtuelle Konferenzen oder Telemedizin einfach wieder verschwinden. Der digitale Wandel wird vielmehr die Wirtschaft und das Wirtschaften dauerhaft umkrempeln. Die Krise hat auch die Risiken einer global vernetzten Wirtschaft offengelegt, und der Trend zur Regionalisierung der Lieferketten wird sich fortsetzen. Die Globalisierung, in den vergangenen Jahrzehnten ein Treiber von Wachstum und Wohlstand, wird sich weiter verlangsamen. Und obwohl Asien und speziell China der Herd der Pandemie waren, scheinen sie als “Gewinner” aus der Krise hervorzugehen. Das jüngste Asien-Pazifik-Handelsabkommen RCEP war dafür ein vorläufiger Höhepunkt. Das globale Gravitationszentrum der Weltwirtschaft wird sich noch viel stärker Richtung Asien verschieben.Neben den kurz- und langfristigen Unsicherheiten kommt als Schwierigkeit hinzu, dass viele Herausforderungen der Vor-Corona-Zeit nicht gelöst sind. Das gilt etwa für die Handelskonflikte: Mit Neu-US-Präsident Joe Biden muss es zumindest gelingen, eine weitere Eskalation zu verhindern. Das gilt auch für die Ungleichheit: Das soziale Gefälle hat in der Krise weiter zugenommen, es braucht einen neuen sozialen Kontrakt. Vor allem aber gilt das für den Klimawandel: Die Erderwärmung macht keine Pause, und es ist entschlossenes Handeln nötig, um die Klimakrise zu stoppen. Wirtschaftswachstum und Klimaschutz sind dabei keineswegs ein Widerspruch.Aber auch die langfristigen Folgen der Rettungspolitik selbst stellen eine immense Herausforderung dar. So angemessen es war, mit massiven fiskalischen Hilfen einen Komplettabsturz der Wirtschaft zu verhindern, so problematisch ist die exorbitant gestiegene Staatsverschuldung. 2020 wird sie laut IWF einen nie dagewesenen Sprung auf fast 100 % der globalen Wirtschaftsleistung machen. Mögen die Apologeten der Modern Monetary Theory (MMT) und andere Ökonomen auch predigen, dass öffentliche Schulden dank Notenbankpresse und anhaltender Null- und Negativzinsen überhaupt kein Problem mehr seien – öffentliche Verschuldung ist auch anno 2020 kein “free lunch”. Mittelfristig braucht es eine Rückkehr zu soliden Finanzen – ohne aberwitzige Ideen wie Schuldenschnitte durch die Notenbanken. Und so richtig es war, mit allen geldpolitischen Mitteln eine neue Finanzkrise zu verhindern, so gefährlich sind die langfristigen Gefahren der ultralockeren Geldpolitik. Mögen Politiker und selbst einige Notenbanker vom Gegenteil träumen – auch die Geldpolitik hat Grenzen. Und das trifft auch auf die Kooperation von Fiskal- und Geldpolitik zu. Steigende (Real-)Zinsen und mehr Inflation in den kommenden Jahren gehören derzeit wohl zu den unterschätzten Risiken.Grenzen hat am Ende auch die Rolle des Staates, die sich in der Krise dramatisch vergrößert hat. Das Verhältnis von Staat und Markt muss angesichts der vielen Krisen der vergangenen Jahre womöglich neu gedacht werden. Aber eine zu starke Rolle des Staats untergräbt die individuelle Verantwortung und behindert die Wirtschaftstätigkeit – und damit den Wohlstand einer Gesellschaft. Die Retter der Welt müssen aufpassen, in einigen Jahren nicht als tragische Helden dazustehen.