Welthandel erholt sich schneller als erwartet

WTO: Politik hat aus Weltfinanzkrise gelernt - Genesung dürfte aber abflachen und unvollständig bleiben

Welthandel erholt sich schneller als erwartet

rec Frankfurt – Das entschlossene Gegensteuern von Regierungen und Zentralbanken in aller Welt hat nach Ansicht der Welthandelsorganisation (WTO) die im Frühjahr befürchtete Kernschmelze im globalen Warenhandel verhindert. WTO-Chefvolkswirt Robert Koopman sagte bei der Vorstellung der aktualisierten Prognosen in Genf: “Wie es scheint, haben die Regierungen ihre Lektion aus der Weltfinanzkrise gelernt.” Die WTO hat deshalb ihre Prognosen für den internationalen Güteraustausch revidiert: Sie erwartet nun, dass die Handelsströme aufs Gesamtjahr gesehen um 9,2 % absacken und 2021 um 7,2 % anziehen.Diese Vorhersagen weichen deutlich von jenen aus dem April ab. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise mit weitreichenden Beschränkungen in vielen Teilen der Welt hatten die Volkswirte der Genfer Organisation den Einbruch im Welthandel auf bis zu 32 % im laufenden Jahr taxiert. Die nun vorgestellte Prognose übertrifft selbst das im Frühjahr als positiv deklarierte Szenario von -13 % klar. Der Einbruch fiele dann auch geringer aus als 2009 (-12,8 %). Die Weltwirtschaft dürfte um 4,8 % schrumpfen, bevor sie 2021 um 4,9 % wächst.WTO-Vize Yi Xiaozhun bezeichnete den Rückgang im Vergleich zum als “Great Trade Collapse” bekannten Einbruch 2009 als “tief, aber weniger ausgeprägt”. Zwischen April und Juni waren die Handelsströme um beispiellose 14,3 % zum ersten Quartal eingebrochen. Anfangs vollzog sich der Kollaps etwa doppelt so rasant wie im Zuge der Weltfinanzkrise 2008/09. Anders als damals ist die für einen Großteil des weltweiten Warenaustausches essenzielle Handelsfinanzierung diesmal aber nicht ausgetrocknet, auch weil Regierungen und Notenbanken mit Hilfspaketen von insgesamt weit mehr als 10 Bill. Dollar zu Hilfe geeilt sind. Konsumnachfrage und Importe hätten sich rasch stabilisiert, sobald Regierungen ihre Corona-Beschränkungen lockerten, so die WTO. Im Ergebnis deutet sich eine V-förmige Erholung im Welthandel an – die nun allerdings an Schwung verlieren dürfte.Ein Grund ist, dass sich vielerorts die Gesundheitskrise mit steigenden Fallzahlen verschärft, wodurch auch Liefer- und Logistikprobleme wieder aufflammen könnten. Zum anderen halten sich viele Firmen aufgrund der unsicheren Aussichten mit Investitionen zurück. Diese sind traditionell ein wesentlicher Treiber des Welthandels. Die in etlichen Ländern prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt könnte dem Konsum zusetzen. Risiken überwiegenIm Herbst und Winter komme es nochmals verstärkt auf die Politik an, sagte WTO-Chefvolkswirt Koopman. Aus Sicht seiner Ökonomen überwiegen die Risiken für den Ausblick. Im pessimistischen Szenario könnte die Erholung im Welthandel 2021 um bis zu 4 Prozentpunkte geringer ausfallen als angenommen. Im unwahrscheinlichen Fall, dass frühzeitig in großen Mengen ein Impfstoff bereitsteht, sind bis zu 10 % Wachstum im Welthandel drin (siehe Grafik).Anzunehmen ist laut WTO jedenfalls, dass die Genesung unvollständig bleibt und der Welthandel nicht auf seinen Vorkrisenpfad zurückkehrt. Regional zeigen sich deutliche Unterschiede: Asien dürfte mit Einbußen von weniger als 5 % glimpflich davonkommen und die Verluste 2021 kompensieren. Dagegen ist in Europa und Nordamerika dieses Jahr mit Exportverlusten von 11,7 % und 14,7 % zu 2019 zu rechnen.