Wende nicht in Sicht
Wie geht es mit Italien weiter? Diese Frage stellt sich nach dem wohl wichtigsten juristischen Gerichtsurteil der italienischen Nachkriegszeit fast jeder Italiener. Das oberste Gericht hat Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi in der vergangenen Woche zu vier Jahren Gefängnisstrafe (wovon ihm drei wegen einer Amnestie erlassen werden) und einer möglichen Enthebung von seinen öffentlichen Ämtern verurteilt. Sicher scheint, dass keine akute Regierungskrise bevorsteht. Deshalb ignorieren die Finanzmärkte das Urteil noch. Erst im Herbst, wenn Reformen und das Stabilitätsgesetz mit dem Haushaltsentwurf 2014 anstehen, wird es sich zeigen, ob die derzeit äußerst fragile Koalition zwischen Linksdemokraten (PD), Berlusconis Volk der Freiheit (PdL) und Mario Montis Scelta Civica weiter Bestand hat.Berlusconis Anwälte wollen das Urteil beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg anfechten. Auch von Begnadigung durch Staatspräsident Giorgio Napolitano ist die Rede. Die ist aber nicht möglich. Denn gegen Berlusconi laufen drei weitere Prozesse. Nun drohen seine Parteifreunde mit Bürgerkrieg. Je heftiger der Rückschlag, desto heftiger reagiert Berlusconi. “Ich bin hier, ich bleibe hier, ich gebe nicht auf”, erklärte der Populist am Sonntag bei einer Demonstration. Laut den jüngsten Meinungsumfragen hat Berlusconi immer noch bis zu 28 % der Wähler hinter sich. Von der angeblich epochalen Wende ist derzeit noch weit und breit nichts zu sehen.Der Populist demonstriert politische Verantwortung. Das ist eine Farce. Denn Berlusconi hat den Staat, seine Mitbürger und seine Aktionäre um Hunderte Millionen Euro bestohlen. Das haben die Juristen nach jahrelangen Ermittlungen nachgewiesen. Und das führt beim Koalitionspartner, den Linksdemokraten, zu Protesten. Immer mehr PD-Anhänger weigern sich, gemeinsam mit dem Verurteilten zu regieren. Die inzwischen laut gewordenen Gerüchte, wonach die Protestpartei des Komikers Beppe Grillo, M5S, zu einer Kooperation mit der PD in Sachen Wahlrechtsreform bereit wäre, hat Grillo dementiert.Es zeichnet sich derzeit keine Alternative zur bestehenden Koalitionsregierung von Enrico Letta ab, die heute 100 Tage im Amt ist. Von der versprochenen Wahlrechts-, der Steuer- und Arbeitsmarktreform wurde bislang nichts umgesetzt. Die gegenwärtige Politkrise droht die Reformen zu verlangsamen. Italien läuft Gefahr, dass die sich abzeichnende zaghafte Konjunkturerholung erneut im Keim erstickt wird.