IM GESPRÄCH: JÜRGEN MICHELS

Wenig Hoffnung für die USA und TTIP

Der Chefvolkswirt der BayernLB befürchtet einen Stillstand der Politik nach einem Sieg Clintons

Wenig Hoffnung für die USA und TTIP

jh München – Die Zeiten für Wirtschaftsprognosen sind hart. Unwägbarkeiten wegen politischer Konflikte, des Ölpreises oder Schocks auf den Finanzmärkten gab es zwar schon immer. “Doch die Unsicherheiten werden diffuser”, sagt Jürgen Michels, der Chefvolkswirt der Bayerischen Landesbank (BayernLB). “Die Risiken sind schwerer einzuschätzen.” Derzeit hat er vor allem Amerika und Europa im Blick: “Je nachdem, wie die Wahl in den USA, das Referendum in Italien oder der Brexit ausgeht, kann sich die Wirtschaft in ganz anderen Bahnen entwickeln.” Stärkere PolarisierungFür den Fall eines Wahlsiegs von Donald Trump am 8. November ist Michels wie viele andere Ökonomen pessimistisch: “Im Szenario mit einem Präsidenten Trump würden die USA unter Protektionismus und der Ausweisung von Migranten leiden.” Eine Rezession in dem Land hielte er für möglich. Doch auch für den Fall, dass die Demokratin Hillary Clinton das Amt erobert, äußert Michels im Gespräch mit der Börsen-Zeitung Bedenken. “Die USA polarisieren sich immer stärker”, sagt er. “Ein republikanisch dominierter Kongress und eine Präsidentin Clinton würden sich gegenseitig das Leben erschweren.” Ein Stillstand der Politik in den Vereinigten Staaten könnte die Folge sein. Und Spannungen in der Gesellschaft blieben in jedem Fall: “In den USA gibt es eine beträchtliche Anzahl von Menschen, die sich von der Regierung und dem Establishment vernachlässigt fühlen.”Wenig passieren würde in den nächsten ein bis zwei Jahren nach Michels’ Meinung in Sachen TTIP, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA: “Eine Stärkung der weltweiten Handelsverflechtungen wäre von einer Präsidentin Clinton nicht zu erwarten.” Sie habe keine ambitionierte Agenda für einen Freihandel. Trotz der Vorteile für Clinton in den Umfragen hält Michels das Wahlergebnis nicht für ausgemacht: “Trump könnte noch Überraschungen bereithalten.” Briten vor RezessionEine Polarisierung anderer Art als in den USA erkennt Michels in Europa. “Es besteht die Gefahr, dass immer größere Teile der Bevölkerung sagen, wir wollen nicht mehr Teil einer solchen EU sein.” Als Beispiele nennt er Frankreich und Spanien.Die Briten haben es mit ihrem knappen Votum vorgemacht. Doch vielleicht ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die BayernLB erwartet im kommenden Jahr eine schrumpfende Wirtschaft in Großbritannien. “Wenn es eine sehr tiefe Rezession gibt, die sich unter anderem auf den Arbeitsmarkt und die Steuereinnahmen auswirkt, ist nicht auszuschließen, dass die Briten in zwei Jahren nochmals darüber nachdenken, ob sie einen Brexit überhaupt wollen.”Dass die Aktienmärkte den Schreck nach der Abstimmung im Juni gut weggesteckt haben, hält Michels für trügerisch: “Wenn die Verhandlungen über einen Brexit begonnen haben, werden die Unsicherheit und damit die Volatilität auf den Finanzmärkten zunehmen.”Der Volkswirt kann sich auch Vorteile eines Brexit vorstellen – für die Briten: “Ohne die Fesseln der EU-Regulatorik könnten sich Großbritannien und insbesondere der Finanzplatz London mittelfristig liberaler und insgesamt positiv entwickeln.” Über die Rolle der Hauptstadt werde ohnehin diskutiert werden. “Für die Europäische Union stellt sich die Frage, ob sie zulässt, dass ihr Finanzzentrum außerhalb der EU liegt.”Deutschland wird da ein gewichtiges Wort mitreden wollen. Auf die Regierung in Berlin kommt wegen der EU nach Michels’ Ansicht viel zu, auch weil das Thema Migration noch nicht geklärt sei: “Die Rolle von Deutschland ist, verschiedene Interessen zusammenzubringen und für Großbritannien an einer Lösung zu arbeiten, die den Handelsbeziehungen nicht allzu sehr schadet.”