IM BLICKFELD

Wenn der Kreml bei der Privatisierung selbst zugreift

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 15.10.2016 Mit Privatisierungen hat Russland so seine liebe Not. Schon Anfang der neunziger Jahre, als das Land seine ersten Schritte in die Marktwirtschaft setzte, ging der Verkauf lukrativer staatlicher...

Wenn der Kreml bei der Privatisierung selbst zugreift

Von Eduard Steiner, MoskauMit Privatisierungen hat Russland so seine liebe Not. Schon Anfang der neunziger Jahre, als das Land seine ersten Schritte in die Marktwirtschaft setzte, ging der Verkauf lukrativer staatlicher Vermögenswerte gehörig daneben und führte zur bekannten Oligarchie mit neuen Monopolen und Eigentumskonzentrationen in einzelnen Sektoren. Heute, über zwei Jahrzehnte und eine partielle Zwangsrenationalisierung privatisierter Vermögenswerte später, zeigt sich abermals: Privatisierung ist keine Kernkompetenz der Russen. Ja, die neuerliche Privatisierung ist nicht einmal so sehr gewollt, wie es auf den ersten Blick scheint. Auf den zweiten Blick wird klar, dass der Begriff mehr verspricht, als er hält. Konkret werden Teile der staatlichen Ölindustrie zwar zum Verkauf angeboten – dann aber von anderen staatlichen Konzernen übernommen.Konkret eigentlich nur von einem – von Rosneft. Der dortige Chef, Igor Setschin, will allem Anschein nach alle staatlichen Ölaktivitäten in seinen Händen konzentrieren. Das kommt nicht von ungefähr, schließlich ist der 56-jährige ehemalige Vizechef der Kreml-Administration ein langjähriger Weggefährte Wladimir Putins und gilt als Kopf der Hardliner in Russlands Establishment.Ein zum Verkauf gestelltes Ölasset hat er jedenfalls schon geschluckt: den landesweit sechstgrößten und an der Moskauer Börse gelisteten Ölkonzern Bashneft. Für den Staatsanteil von 50,8 % bezahlte Rosneft Mitte dieser Woche 329,7 Mrd. Rubel (4,75 Mrd. Euro). 25 % der Anteile behält die Regierung von Baschkortostan, wo der Konzern ansässig ist, die restlichen Aktien befinden sich im Streubesitz. Das erst vor zwei Jahren enteignete Unternehmen gilt als attraktiver und modern geführter Leckerbissen in der Branche und würde Rosneft weiter nach oben katapultieren. Schon jetzt steht Rosneft für fast 40 % der russischen und rund 5 % der weltweiten Ölförderung.Aber Setschin will hoch hinaus. Und dürfte schon demnächst die nächste Gelegenheit dafür bekommen. Nach dem Willen der Regierung nämlich sollte auch der Rosneft-Konzern selbst teilprivatisiert werden: Der Kreml will 19,5 % der Anteile an Investoren verkaufen. Medienberichten zufolge will Rosneft den zum Verkauf stehenden Staatsanteil am eigenen Konzern selber übernehmen – um ihn später an wirklich private Investoren weiterzuverkaufen.Kürzlich bestätigte Rosneft-Vizechef und Konzernsprecher Michail Leontjew dieses Vorhaben. Und auch Putin selbst spielte jetzt darauf an. Der Schritt berge “riesiges Potenzial”, um die Kapitalisierung von Rosneft zu erhöhen, so Leontjew.Dass Setschin so ungehindert zum Zug kommen würde, war vor wenigen Wochen noch nicht absehbar gewesen. Schon bei der Übernahme von Bashneft hatte der Rosneft-Chef zunächst offenbar nicht die Unterstützung des Kremls. Rustem Chamitow, der Präsident der Teilrepublik Baschkortostan, hatte im Kreml argumentiert, dass Bashneft in drei bis vier Jahren mehr als 10 Mrd. Dollar wert sein werde und man deshalb warten solle.Auch Putin hielt von der Übernahme eines Staatskonzerns durch den anderen offenbar nicht viel: “Was ist das für eine Dummheit, dass Rosneft an der Privatisierung von Bashneft teilnimmt!”, erklärte noch im August Putins Oberster Wirtschaftsberater, Andrej Belousow. Die Privatisierung wurde daraufhin verschoben.Dennoch gab die Regierung Ende September plötzlich grünes Licht für den Verkauf von Staatsvermögen. Setschins Rosneft stach zahlreiche konkurrierende Bewerber wie Lukoil aus.Der Sinneswandel des Kremls hat seinen Grund – und zwar die miese wirtschaftliche Lage nach der zweijährigen Rezession, die dem Staatsbudget stark zugesetzt hat. Und auch wenn Teile des Establishments über Setschins wachsende Übermacht nicht glücklich sind, so wissen sie doch, dass Moskau dringend neue Geldquellen braucht. Eben erst hat das Finanzministerium die Budgetausgaben für 2016 erhöht und rechnet nun mit einem erhöhten Defizit, das 3,7 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen werde.Damit der Fehlbetrag nicht noch weiter steigt, müssen bis zum Jahresende 700 Mrd. Rubel (rund 10 Mrd. Euro) über Privatisierungen hereingespielt werden (siehe Grafik). Ausländische Käufer russischer Aktiva sind derzeit allerdings nicht zu finden – Europäer kommen so gut wie nicht infrage, China ist traditionell abwartend. Da kommt Setschins Interesse gerade recht. Er macht jetzt Geld für den Staat frei und kann zu einem späteren Zeitpunkt Teile seines gewachsenen Rosneft-Konzerns an andere Investoren teurer weiterverkaufen.Setschin selbst ist übrigens kein allzu großer Freund von Privatwirtschaft. Er gilt als Mastermind der Zerschlagung des zuvor größten und privaten Ölkonzerns Yukos, mit dessen Übernahme Rosneft vor gut zehn Jahren erst richtig groß wurde. Auch kaufte er vor wenigen Jahren den damals drittgrößten Ölkonzern TNK-BP aus den Händen eines russischen Oligarchenkonsortiums und der britischen BP zurück und verleibte ihn Rosneft ein.Damit ist Setschin auch wesentlich mitverantwortlich dafür, dass die Staatsquote in der russischen Wirtschaftsleistung von 2005 bis 2015 von 35 % auf 70 % stieg, wie die russische Antimonopolbehörde dieser Tag in einer Studie darlegte.An dieser Staatsquote wird sich vorerst wohl nichts ändern, glaubt Michail Krutichin, Branchenexperte bei Rusenergy. Denn durch die sogenannten Privatisierungen auf dem russischen Ölsektor werde lediglich “staatliches Geld von einer Hosentasche in die andere umgeschichtet”.