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Wenn der Staat kommt, um zu bleiben

Börsen-Zeitung, 28.3.2020 In Krisen rufen - fast - alle nach dem Staat. Und wer nicht nach dem Staat ruft, wird zwangsbeglückt. Im Privaten mit Kontaktverboten und Ausgangssperren, im Geschäftlichen mit Betriebsschließungen bis hin zu...

Wenn der Staat kommt, um zu bleiben

In Krisen rufen – fast – alle nach dem Staat. Und wer nicht nach dem Staat ruft, wird zwangsbeglückt. Im Privaten mit Kontaktverboten und Ausgangssperren, im Geschäftlichen mit Betriebsschließungen bis hin zu Verstaatlichungen, aber auch mit verlängerten Öffnungs- und Arbeitszeiten. Die Einschränkung individueller Freiheitsrechte wie auch die staatlichen Eingriffe in die marktwirtschaftliche (Eigentums-)Ordnung werden in Krisen wie der aktuellen selten hinterfragt und von den meisten Menschen akzeptiert, wenn nicht gar begrüßt und herbeigesehnt. Wer angesichts der auf die Corona-Abwehr fixierten Generalmobilmachung unseres Gesundheitswesens nach den Kollateralschäden für anderweitig Erkrankte fragt, setzt sich des Verdachts der Beckmesserei aus. Gleiches gilt für die wirtschaftlichen Folgen jener Maßnahmen, die zwar Teilen der Wirtschaft vorübergehend helfen sollen, aber andere belasten, womöglich dauerhaft. Rationale Güterabwägung ist nicht die Kernkompetenz von erfolgreichen Krisenbekämpfern.Vor diesem Hintergrund sind im Grunde richtige Ratschläge zur Krisenbewältigung, wie die zwangsweise Rekapitalisierung von Banken, mit Vorsicht zu genießen (vgl BZ vom 27. März). Was sich in der Finanzkrise 2008 in den USA als richtig erwiesen hat, muss nicht automatisch auch in Deutschland funktionieren. Während sich in den USA der Staat nach der Krisenintervention alsbald wieder aus den US-Banken zurückgezogen hat, sind europäische Staaten viel länger in der Rolle des Aktionärs geblieben, hierzulande bei der Commerzbank bis zum heutigen Tag als Großaktionär. Und während es in den USA nur um die Eigenkapital- und Finanzhilfe ging, nimmt der Staat hierzulande Einfluss auf die Geschäftsstrategie, bis hin zu Ausschüttung und Vorstandsvergütung. Lieber ohne StaatshilfeKein Wunder also, dass Unternehmen in Deutschland so lange wie irgend möglich den Staat außen vor halten wollen. Das galt in der Finanzkrise für die Deutsche Bank (Josef Ackermann 2008: “Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen würden”), das gilt aktuell in der Viruskrise beispielsweise für Volkswagen. Wenn VW-Finanzvorstand Frank Witter alles daransetzt, ohne staatliche Finanzhilfe durch die Krise zu kommen, dann weiß er, warum (vgl. BZ vom 27. März). Schließlich ist der Staat in Gestalt des Landes Niedersachsen schon seit Jahrzehnten als Großaktionär an Bord und nicht immer nur zum Wohle des Unternehmens.Gerade Volkswagen ist ein Beispiel dafür, dass der Staat Unternehmensbeteiligungen – und damit industrielle Gestaltungsmacht – mit Zähnen und Klauen verteidigt, in diesem Fall sogar vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Staat und seine Beamten geben die in der Krise ergriffene Macht nach Bewältigung der Krise ungern wieder ab. Das galt für die staatliche Überwachung nach 9/11 und den IS-Anschlägen in Europa und Deutschland, das wird auch für die gesundheitliche Überwachung und die Ermittlung von Handy-Bewegungsprofilen nach überstandener Corona-Pandemie gelten. Im wirtschaftlichen Bereich galt das für die mit der Finanzkrise erfolgten Interventionen wie dem Quantitative Easing der Notenbanken, der Teilverstaatlichung von Geschäftsbanken bis hin zur Regulierung der Finanzwirtschaft, und es wird möglicherweise auch für die neuerlichen Eingriffe wie Dividendenverbote oder Kapitalvorschriften gelten.Zumal im traditionell obrigkeitshörigen Deutschland, in dem die Verteidigung individueller Freiheitsrechte schnell mit dem Hautgout des Unsolidarischen überzogen wird, hat der Staat krisenbedingte Machtzuwächse und Rechte selten wieder abgegeben. Man denke an die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführte Sektsteuer, man denke an den 1991 zur Finanzierung des ostdeutschen Wiederaufbaus eingeführten Soli. Allzweckwaffe WSFSo bereitwillig sich der deutsche Michel schon in Nichtkrisenzeiten dem fürsorgenden und umverteilenden Staat unterwirft, so uneingeschränkt setzt er auf ihn in Krisenzeiten wie diesen. Aktuelles Beispiel: Das tief in die wirtschaftlichen Strukturen und Beziehungen eingreifende Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), das auch staatliche Beteiligungen ermöglicht, und in der zurückliegenden Woche den Bundestag passiert hat. Der Antrag der FDP, den Fonds und solche Beteiligungen bis Ende 2021 zu befristen und den Fonds danach abzuwickeln, wurde von den Regierungsfraktionen abgelehnt. Der Commerzbank-Hauptaktionär lässt grüßen.Die Gefahr ist nicht gering, dass der WSF mit seinen “großvolumigen Stützungsmaßnahmen” und der Möglichkeit zur direkten Eigenkapitalstärkung Unternehmen rettet, die auch ohne Krise in Not geraten wären. Die jahrelange Nullzinspolitik hat Zombie-Unternehmen am Leben gehalten, die in normalen Zinszeiten nicht wettbewerbsfähig wären. Und hat andere Unternehmen samt ihrer Private-Equity-Aktionäre zu riskanten Finanzierungsstrukturen mit hohem Leverage animiert. Kriterium für die Staatsknete und damit Steuergeld ist nach dem WSF-Gesetz aber nicht ein tragfähiges Geschäftsmodell, sondern die Bedeutung für Arbeitsplätze und Zulieferstrukturen. Befristung tut notStaatliche Interventionen führen trotz aller guter Absicht immer zu Marktverzerrungen. Deshalb sind sie nur zu rechtfertigen, wenn die Märkte selbst krisenbedingt verzerrt sind oder nicht mehr funktionieren. Da die unerwünschten Nebeneffekte staatlicher Interventionen meist weitere Eingriffe nach sich ziehen, setzt sich ein Prozess in Gang, den Ökonomen als Interventionsspirale beschreiben. Je größer sie wird, desto schwieriger wird es, auch politisch, sie zu beenden. Deshalb sind Befristungen staatlicher Rettungsprogramme und ihre Einhaltung so wichtig. Sonst geht zwar eines Tages das Virus, aber der staatliche Einfluss bleibt. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringRettungsprogramme wie der Stabilisierungsfonds WSF müssen befristet werden. Sonst gefährdet das Coronavirus neben der Gesundheit auch die Freiheit. ——