DIE DIGITALE ÖKONOMIE

Wenn die Maschine den Menschen bedient

Totale Automation führt ins Paradies oder in die Hölle

Wenn die Maschine den Menschen bedient

Von Daniel Schauber, FrankfurtWie wird sich die Arbeitswelt verändern, wenn die Informationstechnik bis in den letzten Winkel der Fertigung vordringt und die Visionen von Industrie 4.0 wahr werden? Die Antwort auf die Frage ist nicht schwer. Sie ergibt sich bei einem nüchternen Blick zurück auf die Veränderungen, welche die industriellen Revolutionen Nummer 1 bis 3 gezeitigt haben.Die Dampfmaschine hat den Menschen, erstens, von schwerer körperlicher Arbeit befreit (oder arbeitslos gemacht). Das elektrische Licht hat, zweitens, die Arbeit rund um die Uhr ermöglicht (oder erzwungen). Computer haben den Menschen, drittens, das Rechnen und Denken abgenommen (oder weggenommen). Und nun werden, viertens, Maschinen mit künstlicher Intelligenz den Fachkräften, die bislang die industrielle Fertigung organisierten, das Leben leicht (oder schwer) machen. Dienen, bedient werden …Wozu braucht man Menschen in der Fabrik, wenn dank Big Data, Sensorik und künstlicher Intelligenz Werkstücke den Maschinen mitteilen, wie sie bearbeitet werden müssen? Wenn sich kaputte Anlagen selbst um ihre Reparatur kümmern, Daten über ihre Defekte an Roboter senden, die dann Ersatzteile am 3-D-Drucker herstellen lassen und einsetzen? Wenn sich Maschinen selbst in der Fabrik organisieren? Man braucht sie nicht.Denkt man die Vision von Industrie 4.0 konsequent zu Ende, dann wird nicht nur der zum biologischen Roboter degradierte Mensch in den fernöstlichen Elektronik-Riesenmanufakturen freigesetzt (oder entlassen), sondern auch der technisch versierte und hoch bezahlte Spezialist. Der Mensch wird nur noch für kreative Arbeiten gebraucht – und natürlich als Konsument, der die unerträgliche Leichtigkeit des Seins genießen lernen muss. Jedenfalls bedient in dem neuen Zeitalter die Maschine den Menschen, nicht umgekehrt.Der Mensch hat Zeit, sich daran zu gewöhnen, denn die Revolution kommt nicht über Nacht. Investitionen in die digitale Fabrik werden erst vorgenommen, wenn der Ertrag die Kosten übersteigt. Solange der Produktionsfaktor Arbeit auch für Routinearbeiten kostengünstig bleibt, wonach es mit Blick auf das unbegrenzte Reservoir billiger Arbeitskräfte in Fernost aussieht, rechnet sich die Revolution einfach nicht.Zudem sind in entwickelten Ländern, in denen sich Automatisierung wegen hoher Arbeitskosten am ehesten bezahlt macht, die Widerstände groß. Die digitale Fabrik läuft nur rund, wenn die Daten aller Produktionsfaktoren, sei es Mensch oder Material, frei fließen. Das bringt Datenschützer auf die Barrikaden. Zudem ist man sich hier der Risiken bewusst, die entstehen, wenn Maschinen Entscheidungen treffen. Computer, die mittels Algorithmen im Hochfrequenzhandel Aktien verkaufen, haben die Märkte schon mehr als einmal abstürzen lassen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn tonnenschwere Industrieroboter (die heute noch aus gutem Grund wie Raubtiere im Käfig gehalten werden), durch Programmierfehler außer Kontrolle geraten und wild um sich schlagen.Die Furcht, dass sich die Maschinen, die der Mensch schuf, gegen ihren Schöpfer wenden, hat jede industrielle Revolution begleitet. So auch diesmal: “Es besteht das Risiko, dass Computer Intelligenz entwickeln und die Macht übernehmen.” Das ist kein Zitat eines Science-Fiction-Helden, sondern es war kürzlich auf Seite 1 der “Financial Times” zu lesen. Es stammt vom renommierten Astrophysiker Stephen Hawking, der empfiehlt, dass die Menschen andere Planeten besiedeln, um einer technologischen Katastrophe, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe, zu entkommen. Der langsam denkende Mensch, so der körperlich schwer behinderte Hawking, der sich ironischerweise mit einem durch künstliche Intelligenz gesteuerten Sprachcomputer verständlich macht, werde von den immer schnelleren Maschinen überrundet. … und bedient seinTrifft seine düstere Prognose ein, dann werden auch diese superintelligenten Maschinen die Menschen bedienen. In dem Kontext muss man das mehrdeutige deutsche Verb ins Englische aber mit “to control” statt “to serve” übersetzen, und der Mensch wird bedient sein von den Maschinen, die er schuf und die ihn, glaubt man Hawking, eher in die Hölle führen als ins Paradies.