DIE EU JUSTIERT IHRE HANDELSBEZIEHUNGEN NEU

Wenn Klimaschutz auf Freihandel trifft

Pläne für einen CO2-Grenzausgleich tragen Brüssel den Vorwurf des "grünen Protektionismus" ein

Wenn Klimaschutz auf Freihandel trifft

Von Stefan Reccius, FrankfurtSeit die Klimaschutz-Agenda der neuen EU-Kommission in der Welt ist, macht das böse Wort vom “grünen Protektionismus” die Runde. Brüssel will nach eigenen Angaben erreichen, dass die Mitgliedstaaten bis 2050 klimaneutral wirtschaften. Ein Kernelement ist, den Ausstoß des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO2) nach und nach zu verteuern, um Verbrauchern und Unternehmen Anreize für den Umstieg auf umweltfreundlichere Energieträger zu geben. Das Problem ist: Bislang bepreisen lediglich ausgewählte Staaten in aller Welt den Ausstoß von CO2 (siehe Grafik). Solange das so ist, haben Unternehmen aus anderen Ländern ohne Preisschild für CO2 beim Export ihrer Produkte in die EU einen Wettbewerbsvorteil gegenüber heimischen Produzenten. Und hiesige Unternehmen haben einen Anreiz, die Produktion CO2-intensiver Güter ins Ausland zu verlagern.Brüssel will gegensteuern. Der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schwebt ein sogenannter CO2-Grenzausgleich als Teil ihres “Green Deal” vor. “Es hat keinen Zweck, Treibhausgasemissionen nur zu Hause zu reduzieren, wenn wir den Import von CO2 aus dem Ausland erhöhen”, argumentiert sie. Umweltökonomen sprechen von “Carbon Leakage”. Außerdem ist ein Grenzausgleich für von der Leyen “eine Frage der Fairness gegenüber unseren Unternehmen, die wir vor unlauterem Wettbewerb schützen werden”. Nebenbei könnte sich die EU eine neue Finanzierungsquelle erschließen. Mit dem Austritt Großbritanniens fehlen jährlich rund 10 Mrd. Euro im EU-Haushalt.Details zu einer solchen Sonderabgabe für Importe ist von der Leyen zwar bislang schuldig geblieben. Doch bei wichtigen Handelspartnern regt sich bereits Widerstand. US-Handelsminister Wilbur Ross sagte kürzlich der “Financial Times”: “Abhängig von der genauen Ausgestaltung einer CO2-Abgabe werden wir darauf reagieren – aber wenn sie im Kern protektionistisch ist, so wie die Digitalsteuer, werden wir reagieren.” Beobachter sehen einen Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und Freihandel auf die EU zukommen. Eine Frage des DesignsViel hängt deshalb davon ab, wie ein Grenzausgleichsmechanismus konkret ausgestaltet sein wird. Was die Form betrifft, kann die EU zwischen zwei Optionen wählen. Möglich ist ein Grenzausgleich in Gestalt einer CO2-Steuer auf Importe. Der Nachteil: Dafür wäre ein einheitliches Votum im Rat der Finanzminister nötig. Zwar hat sich zuletzt auch Polens Premierminister Mateusz Morawiecki für einen CO2-Grenzausgleich ausgesprochen – also jenes EU-Mitglieds, das sich als einziges nicht vollumfänglich den Klimazielen verschrieben hat. Wahrscheinlicher ist aber, dass Brüssel Importe in den bestehenden EU-weiten Handel mit CO2-Emissionszertifikaten integriert. Importeure müssten dann ebenfalls eine bestimmte Menge an Zertifikaten erwerben, wenn sie ihre Produkte in die EU einführen. Für eine Änderung der entsprechenden Richtlinie reicht eine qualifizierte Mehrheit. Das Emissionshandelssystem will Brüssel ohnehin auf weitere Sektoren ausweiten und die Zahl der handelbaren Zertifikate verknappen, um den CO2-Ausstoß zu verteuern.Ein CO2-Grenzausgleich wirft allerdings rechtliche und praktische Fragen auf. Rechtlich, weil die Gefahr besteht, die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu verletzen. Einen Grenzausgleich in ähnlicher Form gibt es bislang einzig im US-Bundesstaat Kalifornien für Stromimporte. Die EU betritt also quasi Neuland. Oberste Prämisse sollte Experten zufolge sein, Unternehmen von außerhalb der EU unter keinen Umständen schlechter zu stellen als Firmen aus der EU. Nur so laufe der Vorwurf des “grünen Protektionismus” ins Leere. Alle Ursprungsländer müssten gleich behandelt werden. Was das für Großbritannien bedeutet, ist unklar – schließlich gilt auf der Insel ein CO2-Mindestpreis. “Viel hängt davon ab, ob Großbritannien weiterhin am CO2-Emissionshandel teilnimmt”, sagt Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik.Messlatte für den CO2-Ausstoß sollten die in der EU gemessenen Durchschnittswerte für den jeweiligen Sektor sein. Auch sollten Importeure die Möglichkeit bekommen nachzuweisen, dass ihr Produkt CO2-sparender produziert ist. Dann müsste der Aufschlag an der Grenze sinken. Die EU könnte auch versucht sein, Exporteure mit Steuervorteilen auf ihre Ausfuhren aus der EU für etwaige Nachteile im Welthandel zu entschädigen. Experten raten davon aber ab, denn sonst drohe in jedem Fall Ärger mit der WTO. Sonderfall GroßbritannienMindestens so kompliziert dürfte die praktische Umsetzung werden. Die zentrale Frage ist: Wie lässt sich bestimmen, welche Menge CO2 im Herstellungsprozess angefallen ist? US-Finanzminister Steven Mnuchin sagte in Davos lapidar: “Wir haben keine Ahnung, wie wir diese Dinge bepreisen sollen.” Je tiefer die Wertschöpfungsketten, desto schwieriger wird das in der Tat – zumal es international keine einheitlichen Normen oder Messverfahren für den CO2-Abdruck eines Produktes gibt. Experten halten allenfalls einen Grenzausgleich auf Vorprodukte wie Stahl oder Zement für umsetzbar. Aber auch der dürfte “nach jetzigem Stand nicht vor 2025 kommen”, sagt Dröge.Die Übergangsphase mit Großbritannien läuft Ende des Jahres ab. Das lässt nicht viel Zeit, um die künftigen Beziehungen zu regeln. Doch mit den Briten liegen die Dinge ohnehin anders. Im Gegensatz zur US-Regierung kann London auf Fortschritte in Sachen Klimaschutz verweisen. Hier sei man längst weiter als die EU, predigt Premier Boris Johnson. Dröge verweist auch auf den britischen CO2-Mindestpreis. “Damit sind sie selbst daran interessiert, die eigene Industrie zu schützen.”