Westen demonstriert Geschlossenheit
BZ Berlin
Die Regierungschefs von G7, EU und Nato haben in Brüssel einen Monat nach der russischen Invasion in die Ukraine Geschlossenheit im Umgang mit dem Aggressor demonstriert, aber keine neuen Sanktionen beschlossen. „Wir haben uns heute alle zu einer lückenlosen Umsetzung der Sanktionen verpflichtet“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach einem Gipfel der G7, zu dem auch US-Präsident Joe Biden anreiste. Die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten sei sich zudem einig, weitere Sanktionen zu verhängen, „sollte dies erforderlich werden“. Nur die USA weiteten ihre Russland-Sanktionen am Donnerstag noch einmal aus. Wie das US-Finanzministerium mitteilte, werden Dutzende Rüstungskonzerne, 328 Duma-Abgeordnete sowie der Chef der Sberbank mit Sanktionen belegt. Auch könnten die US-Behörden mit Strafmaßnahmen gegen Goldgeschäfte unter Beteiligung Russlands vorgehen.
Scholz forderte den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. „Das ist notwendig, um eine tragfähige diplomatische Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine zu ermöglichen“, betonte der Kanzler nach dem G7-Treffen. Schon zuvor hatten am Donnerstag die 30 Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedsländer im Rahmen eines Sondergipfels in Brüssel beschlossen, vier zusätzliche „Battlegroups“ in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien zu stationieren und damit die Kampftruppen des Bündnisses im Osten zu verdoppeln. Die Nato warnte Russland zudem vor weitreichenden Konsequenzen, sollte das Land in der Ukraine chemische oder biologische Waffen einsetzen.
Umstrittene Energieimporte
Am Nachmittag trafen auch die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer in Brüssel zusammen. Besonders kontrovers diskutiert werden dürfte auf dem zweitägigen Gipfel erneut ein möglicher europäischer Boykott russischer Energieimporte. Eine Entscheidung steht nach Angaben der Bundesregierung nicht auf der Agenda. Aber die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Gas und Öl nur noch gegen Rubel zu verkaufen, bringt die EU in mehrfacher Hinsicht in ein Dilemma (siehe Artikel auf dieser Seite).
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnte eindringlich vor einem Boykott von russischem Gas. „Aus der deutschen Wirtschaft, von Verbänden und aus Unternehmen nehme ich mit Fassungslosigkeit wahr, dass von manchen Ökonomen vorgetragen wird, ein Gasembargo sei leicht zu verkraften“, sagte IW-Direktor Michael Hüther zu Reuters. Kurzfristig sei russisches Gas aber nicht ersetzbar – besonders nicht für die Chemie und die Grundstoffindustrien. „Und darüber strahlt es in viele weitere Branchen aus“, sagte Hüther. Nur etwa ein Drittel der russischen Lieferungen sei kurzfristig ersetzbar, etwa durch Flüssiggas (LNG). Ob am Ende 3 oder 5% des Bruttoinlandsproduktes verloren gingen, sei nicht der Punkt. „Hier handelt es sich um Netzwerkeffekte, weil die deutsche Industrie so stark verflochten ist“, warnte der Ökonom. Auch die Argumentation, dass in der Corona-Pandemie ebenfalls ganze Branchen geschlossen werden konnten, führe in die Irre. „Denn es macht einen Unterschied, ob ich Gastronomiebetriebe oder Kultureinrichtungen schließe und entsprechend entschädige, oder ob ich ganze Industriezweige stilllege“, so Hüther. „Das hat vollkommen andere Dimensionen, auch wie sehr die Schließungen durchwirken. Das geht dann schnell an die Substanz der Volkswirtschaft.“ Es dürfe auch nicht vergessen werden, dass die Bundesrepublik Gas auch weiterleite. „Ein Gasembargo hat also auch da Effekte jenseits der deutschen Grenzen“, sagte Hüther.
Mehr Flüssiggas aus den USA
Mehr Flüssiggas könnte schon bald aus den USA nach Europa gelangen. „Morgen werden wir mit Präsident (Joe) Biden ein neues Kapitel in unserer Energiepartnerschaft präsentieren“, kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Es gehe um zusätzliche Lieferungen von Flüssiggas (LNG) aus den USA für die Europäische Union, um russisches Flüssiggas zu ersetzen. Um ihre Lieferungen zu diversifizieren, ist die EU auch mit anderen Ländern wie Katar, Aserbaidschan, Japan und Südkorea in Kontakt.
Ebenfalls am Freitag will die EU beraten, wie sie gemeinsam auf die stark gestiegenen Energiepreise reagieren soll, nachdem zahlreiche EU-Staaten in den vergangenen Wochen bereits Maßnahmen zur Entlastung von Verbrauchern und Unternehmen auf den Weg gebracht haben. Die Ampel-Koalition verhandelte in Berlin über ein zweites Entlastungspaket bis in den Donnerstagmorgen, weshalb Scholz zu spät für das „Familienfoto“ der Nato-Regierungschefs ankam.