REFORMIDEEN FÜR DIE EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND WÄHRUNGSUNION - GASTBEITRAG

Widersprüchlich, ignorant und hegemonial

Börsen-Zeitung, 7.12.2017 Während sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron seit seiner Europa-Rede an der Sorbonne darin übt, die großen Linien seiner Initiativen zu zeichnen, überlässt er es seinen technokratischen Vasallen, die...

Widersprüchlich, ignorant und hegemonial

Während sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron seit seiner Europa-Rede an der Sorbonne darin übt, die großen Linien seiner Initiativen zu zeichnen, überlässt er es seinen technokratischen Vasallen, die Details dieser Großprojekte zu erläutern. Denn die Außendarstellung der technischen Details der Pariser Initiative – wohlgarniert als Impuls für Europa, doch in der Tat ein Akt purer Pariser Machtpolitik – verlangt nach Autorität und Sachkenntnis. Der Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, noch von Macrons Vorgänger François Hollande ernannt und sozialistischen Regierungen, so als Kabinettschef von Dominique Strauss-Kahn, dienstbar, erweist sich hierbei zunehmend als der geeignete Transmissionsriemen.De Galhaus Vorschläge zur Vollendung der Währungsunion geben indes Aufschluss über die hegemonialen Bestrebungen Frankreichs und sind ein Beleg für die Unvereinbarkeit französischer und deutscher Konzeptionen, nicht nur der EWU, sondern von Europa ganz allgemein. De Galhau will alsbald dem ESM die Befugnis verleihen, präventiv tätig zu werden und Ländern, die von einem asymmetrischen Schock getroffen wurden, durch “Stabilisierungsanleihen” beizustehen. Dieser Beistand solle und müsse im Übrigen erfolgen, ohne dass alle Mitglieder des ESM zustimmen und ohne dass das betroffene Land sich einem stigmatisierenden Länder-Austeritätsprogramm unterwerfe. Diese Nebenbedingung zielt auf Deutschlands Vetorecht im ESM: Die Deutschen sollen haften, ohne zuvor darüber in den Formen und unter den Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht für den Erhalt der deutschen Demokratie als unerlässlich angesehen hat, abgestimmt zu haben. Das ist le reve français, also jener ewige französische Traum zu herrschen, ohne zu haften: Europa als karolingisches Reich unter französischer Führung. In anderen Worten: Deutschland zur Haftungsmasse zu degradieren und souverän über die Ressourcen des lieben, ach so erfolgreichen und beneideten Nachbarn entscheiden zu können.Indes stößt sich dieser französische Traum nicht nur daran, dass immerhin noch viele Deutsche solche Vorschläge als Albtraum auffassen, sondern gerät schlichtweg in Konflikt mit der real existierenden Rechtslage: Der ESM kann bereits nach eigenen Angaben präventiv tätig werden. Er hat sich nämlich befugt, Ländern der Eurozone schon bei aufkommenden Krisensymptomen “precautionary credit lines” zu gewähren oder gar problematische Emissionen von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt bis zu 50 % zu zeichnen. Der adelige Deutschland-Freund aus Paris, Gouverneur der ehrwürdigen Banque de France, scheint dies nicht zu wissen. Genauso wenig scheint de Galhau darüber Kenntnis zu haben, dass Art. 122 II AEUV Ländern, die unverschuldet in eine Notlage geraten, die Möglichkeit gibt, vom Rat der EU finanziellen Beistand zu erhalten. Mit anderen Worten: Die Vorschläge De Galhaus zur Erweiterung der Befugnisse des ESM sind nicht nur ordnungspolitisch problematisch, weil sie die Euro-Staaten dazu verleiten, ohne Länderprogramm den ESM anzuzapfen, sondern sie sind angesichts des bestehenden Instrumentenkastens zusätzlich überflüssig. Eigendynamik des ESMDieser Instrumentenkasten des ESM mit der Selbstermächtigung, präventiv zu intervenieren, und zwar in der Hoffnung, dass ein Länderprogramm dann noch schnell ausgehandelt werde, zeigt die Eigendynamik von supranationalen Institutionen wie dem ESM. Ihre Technokraten – allen voran Klaus Regling – brüten im stillen Kämmerlein, unbeobachtet von der nationalen Öffentlichkeit, ihre machthungrigen Pläne aus, um sie dann als “Vollendung der EWU” im opportunen Moment auf den Tisch zu legen. Dieses Kalkül zielt auf jene Selbstermächtigungsdynamik, die das Bundesverfassungsgericht mit seinem Lissabon-Urteil deutlich als Gefahrentatbestand umschrieben hat. Die Bemühungen der Pariser Machthaber – in enger Abstimmung mit der EU-Kommission und unter Einbeziehung des ESM-Chefs – beleuchten das Ausmaß der Kollusion, um Deutschland zu unterwerfen. Dabei scheinen diese selbernannten Europa-Konstrukteure vergessen zu haben, dass das Bundesverfassungsgericht bereits im ESM-Urteil die rote Linie klar gezogen hat: Deutschland durfte sich am ESM nur unter der Bedingung beteiligen, dass seine Haftung beschränkt wird, die Ausleihentscheidungen zuvor im Bundestag genehmigt werden und Deutschland im ESM-Rat ein Vetorecht besitzt. De Galhaus Vorschläge und Reglings Ambitionen dürften also im Falle der Konkretisierung den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts auf den Plan rufen. VergemeinschaftungSämtliche übrigen Vorschläge, die de Galhau brav nach dem ordnungspolitischen Katechismus Frankreichs herunterbetet, haben einen gemeinsamen Nenner: Vergemeinschaftung von Risiken. Obschon gegenwärtig in puncto Wachstum eine sonnige Konjunktur herrscht, will de Galhau wie die EU Kommission einen “rainy day fund” gründen. Ebenso soll der Abwicklungsfonds für Banken durch deutsche Beiträge umfangreicher werden. Das Eurozonen-Budget, dessen Finanzierung niemand kennt, scheint demgegenüber genauso zweitrangig wie der Euro-Finanzminister. Die personelle Präzisierung wird dann in letzter Sekunde kommen. Natürlich sollte es ein Franzose sein. Denn niemand ist europäischer gesinnt als die Pariser Elite.—-Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin