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Wie viel Trump braucht Deutschland?

Börsen-Zeitung, 7.1.2017 Man stelle sich vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte vor Jahren via Twitter die Milliardeninvestition von Audi in Ungarn angeprangert und den Automobilbauer aufgefordert, lieber die Produktion in Ingolstadt zu erweitern....

Wie viel Trump braucht Deutschland?

Man stelle sich vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte vor Jahren via Twitter die Milliardeninvestition von Audi in Ungarn angeprangert und den Automobilbauer aufgefordert, lieber die Produktion in Ingolstadt zu erweitern. Eine solch plumpe Einmischung in strategische Unternehmensentscheidungen – wie jüngst von Donald Trump gegenüber den US-Autokonzernen – wäre nicht einmal Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer verziehen worden. Und doch ist in diesen Tagen in Gesprächen mit Wirtschaftsvertretern zu hören, dass sich die Politik hierzulande eine Scheibe von Donald Trump abschneiden solle. Man müsse ja nicht gleich “Germany first” fordern, aber der Ausverkauf der deutschen Industrie an ausländische, vorwiegend chinesische Adressen dürfe so nicht weitergehen, lässt sich die gar nicht so selten anzutreffende Stimmungslage zusammenfassen. Weder Überfremdung …Die Angst vor Überfremdung und dem angeblichen Verhökern nationalen Tafelsilbers ist kein auf die politischen Ränder beschränktes Phänomen, sondern längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – bei TTIP-Demonstranten ebenso wie bei mittelständischen Unternehmern. Es ist eine Sorge, die ernst genommen werden sollte. Denn sie passt zur gefühlten Wahrnehmung der Realität. Gewiss ist ein Unternehmen mehr als das Zahlenwerk aus Gewinn-und-Verlust-Rechnung und Bilanz, mehr als eine Reihe von Absatzdaten, Kundenkontakten und Finanzkennziffern, mehr als die Beziehung zu den Eigentümern und Investoren. Nicht ohne Grund gibt es den Begriff Unternehmenskultur. Sogar eine nationale Identität wird den Unternehmen zugeschrieben; selbst dann, wenn die Nationalität der Eigentümer und der meisten Beschäftigten eine andere ist und der größte Absatzmarkt im Ausland liegt, was für etliche Dax-30-Unternehmen zutrifft. Und oftmals wird sogar unterstellt, dass es einen eigenständigen, vom Willen der Eigentümer unabhängigen Unternehmenszweck gibt, den das Management definiert und der mitunter in der Diskussion um “friendly” oder “unfriendly” Takeover zum Ausdruck kommt. … noch AusverkaufAll dies zeigt, wie irreführend es ist, Industriepolitik an der Frage der Nationalität von Mehrheitsgesellschaftern und Großaktionären festzumachen. Es mag ja sein, dass im vergangenen Jahr chinesische Unternehmen in Deutschland so viel dazugekauft haben wie nie zuvor. Aber ist das nicht der ganz normale Reflex auf die fortschreitende Globalisierung und einen eher bescheidenen Mittelrückfluss angesichts der von Deutschland in China seit vielen Jahren getätigten Investitionen? China kaufe in Deutschland gezielt Hochtechnologiefirmen auf, um deren Know-how zu plündern und nach China zu transferieren, lautet eine weit verbreitete Meinung. Durch Fakten ist sie nicht gedeckt. Die größten chinesischen Zukäufe in Deutschland waren 2016 der Roboterbauer Kuka, der Müllverbrenner EEW, der Kunststoffmaschinenhersteller KraussMaffei, der Windparkeigner WindMW und die Recycling- und Entsorgungsfirma Alba.Ja, der Technologietransfer und der Aufbau nationaler Champions gehört zu den erklärten Zielen Pekings. Aber glaubt – außer Lieschen Müller und vielleicht Donald Trump – wirklich jemand, dafür müssten chinesische Staatskonzerne die genannten deutschen Firmen erwerben oder Adressen wie Aixtron und Osram? Was nicht schon längst über Industriespionage ins Reich der Mitte gelangt ist, haben wir Deutsche, Europäer und Amerikaner mit dem Aufbau unserer chinesischen Produktionsstätten längst frei Haus geliefert. Und meist gut daran verdient.Der Wohlstand des Westens, der sich im Gegensatz zum Wohlstand in Russland und China nicht auf Oligarchen und Neureiche beschränkt, stützt sich auf internationale Arbeitsteilung, fairen Wettbewerb und freien Handel. Wenn nun der künftige Präsident jenes Landes, das bisher der stärkste Verfechter und Nutznießer dieser Werte war, auf Abschottung, Strafzölle und die nationale Karte setzt, mag er vorübergehend Vorteile daraus ziehen. Auf Dauer gefährdet er aber den Wohlstand seines Landes. Deshalb wäre selbst eine kleine Scheibe Trump in dieser Hinsicht für die deutsche Wirtschaft unbekömmlich. Als Exportnation ist Deutschland mehr als die USA oder China auf freie Märkte angewiesen. Es gibt nationale InteressenAuf einem anderen Blatt steht, ob die deutsche Bundesregierung berechtigte nationale Interessen, die von der Sicherheitstechnologie bis zur Infrastruktur reichen, genügend schützt und im Wettbewerb für ein “Level Playing Field” sorgt. Da gibt es zu Recht Zweifel. Beim Blick zurück ist beispielhaft die Fusion der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange zu nennen, wo der damalige britische Premier David Cameron den Holdingsitz der fusionierten Börsenbetreiber für London forderte und bekam. Die Bundesregierung schaute schweigend weg, und so diktierten die Briten in den Fusionsvertrag als Holdingsitz London. Jetzt hat die hessische Landesregierung den Schwarzen Peter und muss über die Börsenaufsicht in Wiesbaden retten, was zu retten ist, damit die Holding nach dem Brexit weiter der EU-Regulierung unterliegt und die geplante EU-Kapitalmarktunion für den Börsenkonzern ein Heimspiel bleibt. Verlässlichkeit zähltBeim Blick voraus ist festzuhalten, dass in einer Welt, in der ringsum, von London bis Washington, Nationalismus und Protektionismus zurückkehren, man sich nicht vornehm zurücklehnen und den marktliberalen Gutmenschen geben kann. Der Markt funktioniert nur mit Regeln und einem Ordnungsrahmen, an den sich alle halten. Dies einzufordern und Verstöße gegen die Spielregeln klar zu benennen, selbst wenn sie vermeintlich locker als Twitter-Botschaften daherkommen, ist das Gebot der Stunde. Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sind Standortfaktoren, die den USA gerade verloren gehen.—-c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringWer auf Abschottung, Strafzölle und die nationale Karte setzt, gefährdet auf Dauer den Wohlstand seines Landes.——-