IM INTERVIEW: REINHOLD HILBERS

"Wir brauchen für alle unsere Systeme Wachstum"

Der niedersächsische Finanzminister plädiert für eine angebotsorientierte Finanzpolitik mit niedrigeren Unternehmenssteuern - Aktienkultur fördern

"Wir brauchen für alle unsere Systeme Wachstum"

Herr Hilbers, die Coronakrise strapaziert die öffentlichen Kassen. Zugleich setzen Sie sich für eine Unternehmenssteuerreform ein. Ist das in Krisenzeiten überhaupt machbar?Bei der Bewältigung der Coronakrise kommt es darauf an, dass wir nicht nur nachfrageinduzierte Maßnahmen nutzen, sondern uns auch die Angebotsseite vornehmen. Das halte ich für sehr wichtig. Man kann Wachstum ankurbeln, in dem man für Kaufimpulse sorgt. Das machen wir mit dem großen Konjunkturhilfspaket des Bundes und den Hilfen der Länder. Wir müssen aber auch die Angebotsseite stärken. Wir müssen die Unternehmen von Bürokratie und Aufwand entlasten und sie steuerlich so aufstellen, dass es für die Zukunft gut ist. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?Es ist elementar wichtig, Wirtschaftswachstum zu haben, um aus dieser Krise wieder herauszukommen. Die ersten konjunkturellen Streifen am Horizont konnten wir auch schon vor der Krise sehen. Deshalb ist es gut, wenn wir jetzt über eine Unternehmenssteuerreform Wachstumsimpulse setzen. Können die öffentlichen Haushalte den Verzicht auf Steuereinnahmen verkraften?Wir brauchen für alle unsere Systeme Wirtschaftswachstum. Eine Steuerreform muss so gestaltet sein, dass sie Wachstum fördert. Das gilt auch für die Einnahmeentwicklung von Bund und Ländern. Im niedersächsischen Landeshaushalt führt 1 % Wachstum zu 300 bis 400 Mill. Euro Mehreinnahmen. Bei einem Landeshaushalt von 35 Mrd. Euro ist das beträchtlich. Wie müsste die Reform aussehen?Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer zusammen erreichen einen Satz von fast 30 %. Damit liegen wir im internationalen Vergleich der OECD-Länder weit oben. Auf Dauer sind wir damit nicht wettbewerbsfähig. Ich bin dafür, dass wir die Sätze von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer auf zusammen 25 % begrenzen. Sobald wir wieder Wachstum aufnehmen, sollten wir diese Zeit dafür nutzen, eine Steuerreform auf den Weg zu bringen. Das halte ich für wichtig. Neben den Steuersätzen können Unternehmen auch über die Bemessungsgrundlage entlastet werden. Ist das auch eine Option?Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, in der Coronakrise Verlustrückträge zu ermöglichen. Das ist ein sehr wichtiges Instrument. Wir haben im energetischen Bereich einige steuerliche Anreize. Aber wir müssen weitermachen bei der Entlastung durch beschleunigte degressive Abschreibungen. Das würde ein Anreiz sein, Anlageinvestitionen anzukurbeln. Diese wären ein Innovationsschub für technische und digitale Investitionen. Wie sieht es beim Arbeitsmarkt aus?Die Grenze für geringfügig Beschäftigte muss angehoben werden, also der Satz für pauschale Abgaben von Steuern und Sozialleistungen. Das ist seit Jahren nicht mehr angefasst worden. Der Mindestlohn steigt unterdessen. In der schwarz-roten Koalition in Berlin gibt es dazu wenig Bewegung. Ließe sich die Reform über den Bundesrat vorantreiben?Eine solche Reform geht nur mit festem Willen einer Koalition. Die Meinungen in Berlin gehen auseinander. In der nächsten Wahlperiode muss es darum gehen, die Reform auf den Weg zu bringen. Durchgreifende strukturelle Veränderungen werden wir vor der nächsten Bundestagswahl nicht mehr erreichen. Ein langwieriges Verfahren über den Bundesrat wäre nicht zielführend. Was können Sie politisch tun, um eine Unternehmenssteuerreform zu verwirklichen?Im Kreis der Finanzminister stoße ich das Thema Reform immer wieder an. Die Finanzminister können in ihren Gremien, wie der Finanzministerkonferenz Reformen bewirken. Das Thema muss sich die CDU auf die Fahnen schreiben und auch dafür einstehen. Nach meiner Überzeugung werden stabile Finanzen, sichere Arbeitsplätze und eine gute wirtschaftliche Entwicklung zentrale Themen für die nächste Wahlperiode sein. Wenn es den Unternehmen gut geht, geht es auch den Arbeitnehmern gut. Dieser Zusammenhang ist ganz wesentlich und wird die politische Debatte in den nächsten Jahren bestimmen. Das wäre ein gedanklicher Richtungswechsel.Die wirtschaftlichen Spielräume werden enger. Es wird entscheidend darauf ankommen, wirtschaftlich wieder nach vorn zu kommen. In den vergangenen Jahren lag die Dominanz der Diskussion darauf, was es zu verteilen gibt und wohin es verteilt wird. Das wird nun anders sein. Es wird nun mehr darum gehen, wie wir unseren Unternehmen gute Chancen geben, sich zukunftsfähig zu entwickeln und wie wir als Standort wettbewerbsfähig sind. Der Wirtschaftsflügel der Union im Bundestag hat vor Kurzem vor neuen Lasten für die Unternehmen gewarnt. Sind Sie auch besorgt?In der aktuellen Lage sollten wir nicht diejenigen beschweren, die augenblicklich den Karren ziehen müssen. Jeder weiß, dass es eine enorme Belastung für die Wirtschaft gibt, besonders für einige Branchen, den Mittelstand, aber auch die Industrie. Sie denken auch an die Landesbeteiligungen in Niedersachsen?Natürlich auch das. Vor allem denke ich an die Standorte der Schlüsselindustrien in Niedersachsen. Die Fahrzeugindustrie ist ohnehin einem Transformationsprozess ausgesetzt. In der Coronakrise hat sie noch mit weiteren Absatzproblemen zu kämpfen. Wir haben eine exportorientierte Wirtschaft. Die Krise trifft auch unsere internationalen Absatzmärkte. Dies zeigt sich in Europa und den USA. Eine alleinige wirtschaftliche Gesundung in Deutschland würde nicht zum Ziel führen. Wie sieht es bei der Nord/LB aus?Bei der Nord/LB haben wir keine Probleme, die andere Banken nicht auch haben. Der Restrukturierungsprozess läuft planmäßig. Das ein oder andere wird schwieriger werden in der wirtschaftlichen Coronalage. Ansonsten sind wir im Fahrwasser. Ich bin froh, dass die Kapitalisierung im Winter noch gelungen ist. Dies wäre jetzt in der Krise überhaupt nicht mehr möglich gewesen. Der Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, will den Spitzensteuersatz für Besserverdienende erhöhen. Was halten Sie davon?Allein das Signal einer Steuererhöhung ist falsch. Das würde Wachstumskräfte ersticken. Der Vorschlag trifft zudem die ganze Breite der Einzelunternehmer: Handwerker, Einzelhändler und den Mittelstand in der Fläche. Anders als Kapitalgesellschaften haften sie mit ihrem persönlichen Vermögen. Die 10 % der Steuerzahler, die Olaf Scholz im Blick hat, zahlen 50 % der Einkommensteuer. Überdies: Der Spitzensteuersatz von 42 % plus Soli fängt bereits bei mittleren Einkommen an. Wir sollten Unternehmen und den Mittelstand entlasten. Bei den Unternehmen sind Rücklagen und Eigenkapital verbraucht worden. Wir müssen den Unternehmen die Chance geben, dies wieder aufzubauen. Sie plädieren für eine Senkung des Spitzensteuersatzes, um diese Gruppe zu entlasten?Bei Kapitalgesellschaften würde ich die Steuersätze senken. Grundsätzlich sollte man den Mittelstandsbauch abflachen und die gesellschaftliche Mitte entlasten. Wäre eine rechtsformneutrale Besteuerung oder zumindest ein Optionsmodell erstrebenswert?Die rechtsformneutrale Besteuerung halte ich für elementar richtig und wichtig. Daran müssen wir arbeiten. Optionsmodellen gegenüber bin ich offen. Wäre Niedersachsen bereit, die Steuerausfälle aus einer Unternehmenssteuerreform mitzutragen?Ich halte nichts von tollen Vorschlägen, die andere bezahlen sollen. Von einer Unternehmenssteuerreform versprechen wir uns Wachstumsimpulse und Prosperität in unserem Land. Wenn wir Länder Vorschläge zu Gemeinschaftssteuern machen, werden wir die Folgen tragen müssen. Wie lösen Sie das in Ihrem Landeshaushalt?Wir stellen uns schon jetzt auf Einnahmeausfälle ein. Selbst wenn wir wieder eine ähnliche Wachstumsrate wie vor der Krise haben, werden unsere Einnahmen in Niedersachsen deutlich unter diesem Niveau liegen. Die Ausfälle mit struktureller Natur gilt es einzusparen. Dieser Prozess ist eingeleitet. Zum großen Teil haben wir dies schon in der mittelfristigen Finanzplanung verankert. Kann Niedersachsen die Schuldenbremse einhalten?Wir werden die Schuldenbremse in Niedersachsen voll einhalten. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu. Es gibt zwei Ausnahmen von der Schuldenbremse: Im Rahmen konjunktureller Schwankungen um das erwartete Wirtschaftswachstum herum können wir – soweit es die sogenannte negative Konjunkturkomponente erlaubt – Kredite aufnehmen, die wir bei einer positiven Konjunkturkomponente aber auch zurückzuführen haben. Das ist ein geschlossenes System. Zudem können wir in Notlagen, die die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen und sich der staatlichen Kontrolle entziehen, Kredite aufnehmen, um handlungsfähig zu bleiben und reagieren zu können. Davon haben wir in diesem Jahr Gebrauch gemacht und werden es im kommenden Jahr in geringem Umfang wiederholen. Der Bund plant die nächsten vier Jahre mit Schulden. Sollten öffentliche Haushalte ausgeglichen sein?Die Schuldenbremse hat in Bund und Ländern im vergangenen Jahrzehnt sehr stark zur Stabilität und zu gesunden Haushalten beigetragen. Dies ermöglicht es uns, wirkungsvoll in dieser Krise reagieren zu können. Deshalb möchte ich sehr schnell zu einem ausgeglichenen Haushalt zurück. Wir fangen 2024 mit der Tilgung an. Wir haben 2024 wieder eine ausgeglichene Finanzplanung ohne strukturelles Defizit und ohne Einmaleffekte. Dahin kommen wir über kluge Einsparungen. Notlagenkredite lassen sich nicht über das Jahr 2022 hinaus ausdehnen. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes weist bis 2024 enorme Lücken auf. Die CDU will für solide Finanzen stehen. Wird sie liefern?Das werden wir tun. Augenblicklich sind sehr viele unterwegs, die glauben, dass man mit Geld alles lösen kann. Der Geist muss wieder in die Flasche. Alles muss zurückgezahlt werden. Wir geben mehr als ein Drittel unserer volkswirtschaftlichen Jahresleistung für Hilfspakete aus. Damit sind Grenzen erreicht. Wir dürfen uns nicht permanent neue Dinge überlegen, wo wir noch helfen können. So viel wie nötig, aber auch nicht mehr. Wir müssen schnell wieder auf die schwarze Null kommen. Das ist Unionspolitik. Der Bund behält eine hohe Rücklage als Reserve und nimmt dabei in diesem und im nächsten Jahr mehr als 300 Mrd. Euro Kredit auf. Ist das solide?Die Menschen wissen ganz genau, dass alles, was wir heute ausgeben, bezahlt werden muss. Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Auch bei niedriger Verzinsung ist es unangebracht, mehr Schulden zu machen als notwendig. Rücklagen sollten allenfalls eingesetzt werden, um einen Pfad zur schwarzen Null zu ebnen. Wie vereinbaren Sie den Ruf nach Steuersenkung und den nach einem ausgeglichenen Haushalt?Wenn wir Wachstum durch eine Unternehmenssteuersenkung generieren, werden wir dadurch auch einiges wieder hereinbekommen. Wenn wir Unternehmen ansiedeln und international wettbewerbsfähig sind, werden die Einnahmen steigen. Das wird mit einem gewissen Time Lag geschehen, aber auch die Reform lässt sich schrittweise mit einem Zeitplan umsetzen. Wenn Wachstum allein nicht reicht, was dann?Ohne Konsolidierung wird es nicht gehen. Es sind Einsparpotenziale vorhanden. Wir haben in der Vergangenheit sehr große Zuwächse gehabt. Da muss man kritisch schauen, wofür wir das verwandt haben. Es ist wichtig, alle staatlichen Ausgaben immer wieder einmal auf den Prüfstand zu stellen. Man kann das Geld nur einmal ausgeben. Es ist bei den Menschen am besten aufgehoben. Ich halte viel von Eigenverantwortung. Der Staat kann nicht alles leisten. So lassen sich für eine gute Steuerreform Freiräume erwirtschaften. Warum kann Niedersachsen Ausgaben kürzen, der Bund aber nicht?Haushalte werden ruiniert in guten Zeiten. Die zusätzlichen Ausgaben für neue Leistungen jüngeren Datums müssen eingefroren werden. Es kann nicht gelingen, ohne den Personalkostenblock an Einsparungen zu beteiligen. Helfen könnten uns auch etwas moderatere Tarifabschlüsse. Für Ausgaben der Sozialpolitik und Umverteilung wird es Grenzen geben. Machen wir uns nichts vor. Diese Krise wird uns alle Wohlstand kosten. Es wird Dinge geben, die wir uns nicht leisten können und verschieben werden. Noch ein Sprung auf die internationale Ebene. Eine neue Digitalsteuer würde multinationale Unternehmen treffen und den europäischen Haushalt dotieren. Beschäftigten Sie diese Pläne?Sehr! Wir brauchen eine grundlegende Analyse zu den europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Wirkungen auf die Bundesländer und auf das Zusammenwirken von Bund und Ländern. Die Einführung von Eigenmitteln und ein eigenes Steuererhebungsrecht der EU ist ein völlig neuer Aspekt. Bisher hat die EU kein eigenes Steuerrecht und keine eigene Steuerbehörde. Es verändert die Finanzverfassung insgesamt und tiefgreifend. Die Idee war, Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook hierzulande gerecht zu besteuern. Die OECD verspricht den meisten Staaten durch die sogenannte Digitalsteuer mehr Einnahmen. Wäre das nicht attraktiv?Ich habe große Bedenken bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Dies hört sich erst einmal sehr gut an und ist populär, aber auch sehr komplex. Man kann dies tragfähig nur OECD-weit regeln. Wir müssen als Exportnation schauen, dass uns nichts verloren geht, wenn die Besteuerungsrechte zugunsten von Konsumentenstaaten neu verteilt werden. Wir sind eine Exportnation. Wenn Marktstaaten künftig stärker am Aufkommen beteiligt sind, habe ich die Sorge, dass auch unser Steuersubstrat unter Druck kommen könnte. Dies soll über eine neue globale Mindestbesteuerung aufgefangen werden und dadurch, dass wir die großen Digitalkonzerne bei uns ordentlich besteuern. Wenn mit dem europäischen Covid-19-Paket für Brüssel die Möglichkeit besteht, eine Digitalabgabe zu erheben, werden diese Einnahmen bei der Kompensation fehlen. Ich glaube, das geht am Ende nicht auf. Die Auswirkungen müssen wir sehr, sehr genau prüfen. Die Einführung von Eigenmitteln für die EU müssen die Parlamente der Mitgliedsländer ratifizieren. Sind die Bundesländer in Deutschland schon an diesem Prozess beteiligt?Das fordern die Landesfinanzminister ein. Der Europäische Rat hat ja im Rahmen der Einigung auf das Coronapaket am 21. Juli auch Schlussfolgerungen zu den künftigen Eigenmitteln der Europäischen Union getroffen. Zur Umsetzung dieser Einigung ist unter anderem vorgesehen, dass die EU-Kommission im ersten Halbjahr 2021 Vorschläge für eine Digitalabgabe vorlegen soll. Die Einführung einer solchen Digitalabgabe hätte in jedem Fall erhebliche Auswirkungen auf Steuereinnahmen, die den Ländern zustehen. Wir sind uns im Kreis der Landesfinanzminister daher völlig einig, dass die Länder in den weiteren Entscheidungsprozess frühzeitig und stark eingebunden werden. In welcher Form können die Bundesländer eingreifen?Die Landesfinanzminister haben sich bereits in der Vergangenheit intensiv mit dem Thema der Besteuerung der digitalen Wirtschaft befasst. Steuerverwaltung ist in Deutschland weitgehend Ländersache, wir verfügen hier also über eine Menge Kompetenz und Erfahrung. In der Frage der Sinnhaftigkeit einer Digitalabgabe gibt es dabei im Kreis der Landesfinanzminister durchaus unterschiedliche Bewertungen. Es gibt Finanzminister, die die Besteuerungsrechte der EU durchaus begrüßen. Bei CDU und CSU sehen wir die Digitalbesteuerung und die neuen Besteuerungsrechte der EU eher kritisch. Wir glauben auch, dass dies die aktuellen Handelskonflikte mit Blick in Richtung USA befeuern könnte. Und wir glauben, dass wir Gefahr laufen, dadurch Steuersubstrat zu verlieren. In einem ganz wesentlichen Punkt besteht aber zwischen allen Landesfinanzministern vollkommene Übereinstimmung: Die Einführung einer Digitalabgabe darf in keinem Fall zulasten der Länder gehen. Es wäre ein vollkommen unsinniges Ergebnis, wenn der Haushalt der EU dadurch gestärkt werden soll, dass man den Ländern die notwendigen finanziellen Ressourcen entzieht. Deswegen müssen wir jetzt gemeinsam sicherstellen, dass zusätzliche Haushaltsbelastungen für die Länder und Kommunen vermieden und etwaige Steuerausfälle vollständig kompensiert werden. Zu den Eigenmitteln für die EU zählt auch die Finanztransaktionssteuer. Haben Sie da auch Bedenken?Eine Finanztransaktionssteuer kann man nur EU-weit einführen. Sonst beeinträchtigt sie die Finanzplätze der einzelnen Länder sehr stark. Eine EU-weite Einführung kann ich mir vorstellen. Nicht vorstellen kann ich mir einen nationalen Alleingang. Eine nationale Finanztransaktionssteuer halte ich für falsch. Das gilt auch für die Einführung in nur wenigen Ländern. Die geplante Besteuerung erstreckt sich vor allem auf Aktien. Was halten Sie davon?Eine Finanztransaktionssteuer müsste fast alle Teile des Kapitalmarktes abbilden und nicht nur Aktien. Das halte ich für wichtig. Eine reine Aktiensteuer würde die nur langsam aufwachsende Aktienkultur bremsen. Sie halten die Aktienkultur also für ausbaufähig?Die Aktienkultur in Deutschland ist unzureichend ausgeprägt. Gerade in Niedrigzinszeiten ist es wichtig – auch für die Altersvorsorge -, dass wir Menschen breit am Produktivkapital beteiligen. Das ist Soziale Marktwirtschaft. Der katholische Theologe Oswald von Nell-Breuning hat formuliert, Arbeitnehmer müssen am Produktivkapital beteiligt werden. Es muss interessant sein, Aktien zu kaufen. Deshalb sehe ich die Besteuerung von Aktienerwerb sehr kritisch. Es ging ursprünglich um die Bekämpfung des Hochfrequenzhandels. Die finde ich in den jüngsten Vorschlägen von Olaf Scholz nicht mehr wieder. Es geht nur noch um die Besteuerung von Aktientransfers. Das halte ich für falsch für die Aktienkultur. Gerade Fonds, die Aktien für die Altersvorsorge hineinnehmen, gräbt man damit Rendite ab. Von der Aktiensteuer ist jede Lebensversicherung und jede Altersvorsorge in einem Fonds betroffen, der auf Aktienbasis handelt. Könnte der Finanzmarkt dann auch dem Staat helfen?Wir müssen unsere Investitionen sehr stärken. Herausforderungen in der Klimapolitik oder in der Digitalisierung können wir nur bewältigen, wenn es uns gelingt, dafür privates Kapital zu mobilisieren. Dafür muss es eine Politik geben, die zulässt, dass die Investoren marktgerechte Renditen erzielen können. Es muss für sie interessant sein, in unsere Volkswirtschaft zu investieren. Ich glaube nicht, dass es uns gelingen wird, das, was vor uns liegt, allein mit staatlichem Geld zu erledigen. Wir tun so, als könne der Staat alles lösen. Die Soziale Marktwirtschaft hat Leitplanken – sie bleibt aber eine Marktwirtschaft. Das Interview führte Angela Wefers.