"Wir stehen vor einem französischen Jahrzehnt"

Berenberg-Ökonom Schmieding zum Macron-Effekt

"Wir stehen vor einem französischen Jahrzehnt"

lz Frankfurt – Vor rund sechs Jahren sagte Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank, ein “goldenes Jahrzehnt” für Deutschland voraus. Und tatsächlich läuft es derzeit so gut, dass es “kaum mehr besser gehen kann”, wie er am Donnerstag in Frankfurt darlegte. Das werde auch noch einige Zeit so weitergehen, erwartet er, aber die zum Stillstand gekommene Reformpolitik, falsche politische Weichenstellungen und die demografische Entwicklung dürften schon bald Probleme bereiten.Die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts werden nach seiner Meinung nach eher ein “französisches Jahrzehnt”, sofern der neu gewählte Staatspräsident Emmanuel Macron die angekündigten Reformen durchbringe. Einen zusätzlichen Schub könnte die französische Wirtschaft obendrein durch den Brexit erhalten, wenn sich das Land durch niedrigere Standortkosten und mehr Flexibilität rechtzeitig als Investitionsstandort für Unternehmen aus London empfiehlt. Dann, so Schmieding, dürfte Paris auch Frankfurt den Rang ablaufen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Chefvolkswirt, Frankreich in den Portfolios tendenziell überzugewichten.Insgesamt sieht Schmieding die EU auf einen “guten Weg”. Selbst Italien sei bereits “halb reformiert”. Nur mache sich das nicht bemerkbar wegen der instabilen politischen Verhältnisse. Unternehmer und private Haushalte hielten sich daher mit Investitionen und Ausgaben zurück. Entscheidend seien nun die wohl im Herbst anstehenden Neuwahlen, die für eine Klärung sorgen könnten. Anderenfalls müsste sich das Land weiter “durchwurschteln”.Was die Festigung der EU und die stärkere Verwurzelung der Gemeinschaft in den Köpfen der Menschen angeht, so empfiehlt Schmieding einen Investitionsfonds, der Länder bei Strukturreformen unterstützt, sowie ein EU-Kurzarbeitergeld, das in einer akuten Notfallsituation das Gemeinschaftsgefühl stärken würde.