REGIERUNGSBILDUNG IN BERLIN PLATZT

Wirtschaft kritisiert Scheitern der Jamaika-Gespräche

"Chance vertan" - Enorme Herausforderungen benötigen Regierung - Appell an staatspolitische Pflichten - RWE-Aktie gewinnt

Wirtschaft kritisiert Scheitern der Jamaika-Gespräche

ge Berlin – Positiv reagierte in der Wirtschaft auf das Scheitern einer möglichen schwarz-gelb-grünen Koalition nur die Aktie des Kraftwerksbetreibers RWE. Das Jamaika-Aus dürfte die vor allem von den Grünen geforderte Stilllegung von Kohlekraftwerken zumindest verzögern, die die Essener in größerer Zahl im Portfolio haben. Das RWE-Papier lag folglich gestern deutlich im Plus.Die restliche Wirtschaft bewertete das Scheitern der Gespräche in der Nacht zum Montag wechselweise als “Tiefpunkt”, “ernüchternd”, “schwere Enttäuschung” oder “schlechtes Signal für Deutschland und für die Wirtschaft”. Für diese sei das Scheitern besonders ernüchternd, denn damit sei eine Chance verpasst worden, habe die Wirtschaft doch “auf das Aufbrechen von Blockaden gehofft”, sagte Eric Schweitzer. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hatte neue Wege erhofft bei der Zuwanderung, der Energiepolitik, bei der Digitalisierung, bei Bildung und der Infrastruktur.Nahezu wortgleich bedauerte Hans-Walter Peters, Chef des Bundesverbands deutscher Banken und Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Privatbank Berenberg, das Ende der Sondierungen: “Eine Chance wurde leider vorerst vertan.” Jetzt gehe wertvolle Zeit verloren, um Zukunftsthemen schnell anzupacken.Auch Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), mahnte trotz des Aus der Gespräche eine rasche Regierungsbildung an, da wirtschaftliche Stabilität politische Stabilität brauche und die hiesige Industrie trotz der aktuell günstigen wirtschaftlichen Lage vor enormen Herausforderungen stehe. Dazu bedürfe es mehr als einer bloß geschäftsführenden Regierung. “Demokratieschädlich””Eine Hängepartie kann sich Deutschland in keiner Hinsicht leisten”, assistierten Thilo Brodtmann und Utz Tillmann, die Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA und dessen Pendant in der chemischen Industrie. Wichtige Zukunftsfragen müssten entschieden werden, von der digitalen und realen Infrastruktur über die Energiewende bis zur Europapolitik.Mit den Worten “was für ein Schlamassel” reagierte Holger Bingmann, der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, auf die Entwicklung. Es scheine die Sehnsucht zu grassieren, die Oppositionsrolle statt den Gestaltungsauftrag anzunehmen. “Das ist geradezu demokratieschädlich.” Nach diesem “Tiefpunkt” sollten sich alle Beteiligten 14 Tage Zeit nehmen, um sich zu besinnen. Von einer “staatspolitischen Pflicht der Parteien, für eine stabile Regierung zu sorgen”, sprach angesichts der großen nationalen und internationalen Aufgaben der Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Wolfgang Weiler. Sich ihrer “staatspolitischen Verantwortung” zu besinnen, fordert auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer – einschließlich der Bereitschaft, parteipolitische Grenzziehungen zu überwinden.Bei allem Verständnis für Schmerzgrenzen und rote Linien von Parteien und Fraktionen warnte Achim Berg, Chef des Hightech-Verbands Bitkom, vor Neuwahlen: So oft und so lange zu wählen, bis das Ergebnis passt, sei definitiv keine Alternative. Union, SPD, FDP und Grüne müssten nun einen neuen Anlauf starten – in welcher Konstellation auch immer. Das Land brauche rasch eine handlungsfähige Regierung. “Die Digitalisierung wartet nicht auf Deutschland.”Als “fatal” und kein gutes Signal für Wirtschaft und Gesellschaft kritisierte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Peter Wollseifer, die Unfähigkeit der Jamaika-Parteien, sich auf tragfähige Kompromisse zu verständigen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. “Damit haben die sondierenden Parteien Deutschland einen Bärendienst erwiesen.”