IM INTERVIEW: ANDREJ BELOUSOW

"Wirtschaftlich ist die Krim ein vorteilhafter Erwerb"

Putins Wirtschaftsberater erwartet neue Grundsatzvereinbarung mit der EU und hofft, dass der ukrainische Wahlsieger keine vorschnellen Entscheidungen trifft

"Wirtschaftlich ist die Krim ein vorteilhafter Erwerb"

Andrej Belousow ist aktuell der einflussreichste Mann in der russischen Wirtschaft. Was immer Staatspräsident Wladimir Putin an wirtschaftlichen Angelegenheiten zu entscheiden hat, es geht zuvor über Belousows Schreibtisch. Deswegen hat Putin den 55-Jährigen auch vom Wirtschaftsminister zu seinem ersten Berater in den Kreml befördert. Was man dort denkt, was er vom neuen ukrainischen Präsidenten hält und woraufsich die Europäer in Russland einstellen müssen, erzählt Belousow im Interview der Börsen-Zeitung.- Herr Belousow, wenn Russlands Wirtschaft jüngsten Prognosen zufolge 2014 nur noch maximal 0,5 % wächst, wie sehr sind da schon die bisherigen Sanktionen mitverantwortlich? Und wie sehr ist das Wachstum bedroht, wenn noch weitere Sanktionen folgen sollten?Am meisten spüren wir die sogenannten weichen Sanktionen – also Verbote oder Empfehlungen an Firmen, Projekte in Russland abzusagen, und an Banken, solche Projekte nicht zu finanzieren. Von den sichtbaren Auswirkungen kann ich drei nennen: Wir sehen Nervosität nicht so sehr bei russischen als vielmehr bei ausländischen Unternehmen, die in Russland arbeiten. Zum Beispiel sind aus Deutschland an die 6 000 Unternehmen hier, und viele haben sich schon an uns gewandt und gefragt, ob die russische Regierung ihr Geschäft verbieten wird. Ich beruhige sie immer und kann offen sagen, dass wir zum heutigen Tag nichts Derartiges vorbereiten. Der zweite Effekt ist: Dass sich unser Establishment hinter unserem Präsidenten und der Regierung gesammelt hat wie nie zuvor. Es gab zwischen der liberalen und nichtliberalen Fraktion ja immer die Diskussion, wo wir uns hinbewegen sollen. Durch die – zumindest verbalen – äußeren Bedrohungen sind diese Diskrepanzen in den Hintergrund gerückt.- Sie wollten noch eine dritte Auswirkung der Sanktionen nennen.Ich verhehle nicht, dass die Androhung der Sanktionen die Staatsführung veranlasst hat, politisch und wirtschaftlich intensiver nach neuen Märkten zu suchen – vor allem in Südostasien, in China. Auch eine Infrastruktur zu diesen Märkten muss dann geschaffen werden. Ferner müssen wir Aktionen zur Sicherung der Infrastruktur – darunter der finanziellen – in der russischen Wirtschaft durchführen.- Die Suche nach neuen Märkten erscheint wie eine Abkehr vom Westen.Ich habe nicht gesagt, dass es zum Schaden der Kooperation mit dem Westen passiert. Es geht um zusätzliche Märkte. Nehmen Sie das Gas: Hier herrscht die feste Überzeugung, dass wir – vor allem mit der Pipeline South Stream, deren Bau wir beschleunigen wollen – die stabile Versorgung Europas mit russischem Gas erhöhen wollen.- Russland fehlen die Motoren für Wirtschaftswachstum. Kann China ein solcher sein?Chinas Größe kann zweifellos diesem Effekt dienen. Es geht hier nicht um Zahlen, sondern dass etwa der Gasvertrag oder andere große Projekte etwa der Petrochemie zu neuen Zentren des Wirtschaftswachstums in Fernost werden. Wir beschäftigen uns damit schon lange. Jetzt werden wir diesen Prozess stimulieren.- Ins Auge springt, dass die Investitionen, die wichtigste Wachstumshoffnung der russischen Wirtschaft, seit 2012 zurückgehen. Jetzt hört man wieder von großen Absichten, den Moment für Reformen zu nützen. Aber die Machthaber waren ja auch bisher schon dieselben. Warum hat man das, was man hätte tun können, nicht längst getan?Die Verlangsamung der Investitionen hat zwei Gründe. Erstens die Zyklizität: Etwa 30 % der Investitionen bei uns kommen von Großkonzernen, darunter von strategischen, an denen der Staat beteiligt ist. Sie haben viele Projekte 2010 und 2011 fertigzustellen begonnen. Dann kam die Investitionspause.- Der zweite Grund?Die hohen Kreditzinsen, die gleichzeitig mit der Verschlechterung der Einkunftssituation bei den Unternehmen auftraten. Wir wollen nun einen Mechanismus begründen, der den Zugang zu Kreditressourcen erleichtert. Auch werden wir einen Fonds zur Unterstützung der Investitionen und einen Fonds zur Entwicklung der Industrie einrichten.- Sie sprechen schon wieder von Absichten, wie das die russische Führung gern tut. Aber Sie haben noch nicht gesagt, was Sie längst hätten tun können.Genau all das, was wir jetzt verkünden. Nur eben schon früher. Leider ist es unser russischer Wesenszug, dass wir auch eineinhalb Jahre über etwas diskutieren. Hätten wir alle Maßnahmen vielleicht schon 2011 umgesetzt, wären wir jetzt nicht in dieser Situation.- Ex-Finanzminister Alexej Kudrin sagt, dass die jetzt rückläufigen Kredite aus dem Westen und die Zurückhaltung der russischen Investoren erst im zweiten Halbjahr richtig negativ ausschlagen werden. Sind Sie derselben Ansicht?Wir bemerken bislang keinen wesentlichen Rückgang beim Zufluss von Investitionen. Was wir bemerken, sind Probleme bei der Refinanzierung, aber das sind meistens Probleme der großen Banken und Großkonzerne, die Anleihen aufgelegt haben. Diesen Unternehmen wird der Staat helfen, den Ausfall zu kompensieren. Putin hat am Freitag erklärt, dass das Programm zur Kapitalisierung der Banken mittels Staatsanleihen realisiert wird. Das Hauptproblem, das wir schon lange mit zusätzlichen Maßnahmen hätten bekämpfen müssen, sind die hohen Kreditzinsen. Und das zweite Problem sind die administrativen Barrieren. Hier hat Putin verfügt, schleunigst Abhilfe zu schaffen.- Welchen Spielraum hat die Zentralbank, die ja in diesem Jahr den Eckzinssatz um 2 Prozentpunkte erhöht hat?Praktisch keinen, denn die hohen Kreditzinsen haben nicht mit der Inflation, sondern mit dem Bankensektor zu tun. Und zwar aus vier Gründen: Erstens ist das russische Bankensystem stark monopolisiert. Zweitens steigen die Finanzierungskosten, weil die Unternehmen wegen der gestiegenen Volatilität des Wechselkurses ihre Rubel in Valuten umschichten. Nun folgt auch die Bevölkerung diesem Beispiel, weshalb die Geldmenge abnimmt und die Finanzierungskosten steigen. Drittens: Weil die Realwirtschaft deutlich weniger Gewinn macht, sinkt die Qualität der Kreditportfolien, so dass die Banken nicht nur ihre Reserven erhöhen, sondern auch die Kreditzinsen. Viertens ist die Situation mit der Kapitalausstattung der Banken sehr schwierig.- Putin thematisierte am Freitag in seiner Rede beim Russischen Wirtschaftsforum die Notwendigkeit eines neuen Basisabkommens mit der EU. Das alte Partnerschaftsabkommen ist schon vor Jahren abgelaufen und wurde provisorisch verlängert. Warum sollten wir jetzt auf einmal dringend ein neues Abkommen brauchen?Unsere Beziehungen zu einzelnen EU-Ländern entwickeln sich weitaus besser als die mit Brüssel. Die Verzögerung bei der Unterzeichnung eines neuen Abkommens gründet in der extrem unflexiblen Position der Führung der handelspolitischen Abteilung in der EU-Kommission. Ich bin froh, dass mein Gegenüber bei der EU, Karel De Gucht, abtritt. Er ist nicht darauf eingestellt, einen Kompromiss zu suchen. Er sucht stattdessen immer Argumente, warum sein Gegenüber nicht recht hat. Auf jeden unserer Vorschläge erhielten wir ein “Nein”. Mit praktisch allen anderen Abteilungen waren wir uns ja einig. Die neue Grundsatzvereinbarung war ja praktisch fertig.- Aber warum ist dieses Dokument jetzt für Russland plötzlich so wichtig?Die EU ist unser Haupthandelspartner. Wir können keine bilateralen Beziehungen entwickeln, wenn diese oberste Instanz nicht mitzieht.- Was erwartet denn Russland von einem solchen Abkommen? Und wohin soll denn die Reise inhaltlich gehen?Wir erwarten, dass die Spielregeln, die wir zum heutigen Tag erreicht haben, im Abkommen genau fixiert werden. Inklusive der Investitionsregeln und des Investitionsschutzes. Und wir erwarten, dass wir uns auf dem Weg Richtung Schaffung einer Freihandelszone bewegen. Wären unsere Verhandlungspartner in der EU-Kommission nicht so unflexibel gewesen, hätten wir auch in der Ukraine-Frage gänzlich anders arbeiten können.- Wie soll man das verstehen?Wie hat sich die ganze Situation entwickelt? Mit der Ukraine hatten wir viele Streitereien, aber die Beziehungen nahmen Form an. Ausschließlich dank der Anstrengungen von Pjotr Poroschenko unterzeichneten wir einen Vertrag über die Freihandelszone. Damals war Poroschenko Wirtschaftsminister so wie ich. Wir haben diese Fragen gelöst und uns auf Antidumpingmaßnahmen geeinigt. Mit der EU aber haben wir unsere Beziehungen nicht reguliert. Als die EU und die Ukraine im November auf die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zusteuerten, haben wir verstanden, dass dies sowohl unserem Abkommen mit der Ukraine als auch unserem möglichen Abkommen mit der EU schadet. Hätten wir klare Spielregeln mit der EU gehabt und uns in diesem Rahmen mit der Ukraine geeinigt, wie wir es vorgeschlagen hatten, hätten wir die jetzige Krise nicht gehabt.- Sie drohten bereits, die Welthandelsorganisation WTO einzuschalten, wenn der Westen Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschließen sollte …Ich sage nicht, dass es eine Maßnahme ist, die wir unbedingt anwenden. Aber Wirtschaftssanktionen bedeuten in der handelspolitischen Sprache, Russland den Status eines Landes zu nehmen, das über die WTO-Grundprinzipien der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung verfügt. Wenn es also dazu kommt und Russland sich entschließt, an die Streitschlichtungsstelle der WTO zu appellieren, dann können zwei Situationen auftreten. Erstens: Russland gewinnt, wofür es Chancen gibt, was aber für die USA und Europa eine politische Schande wäre. Sie müssten die Sanktionen zurücknehmen. Würde Russland in einem WTO-Streit aber verlieren, wäre ein Präzedenzfall geschaffen, dass ein Mitgliedstaat dem anderen den Status der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung wegnehmen kann. In der WTO würden sich Dutzende Länder finden, die diesen Präzedenzfall mit Vergnügen aufgreifen würden.- Neben dem Schwenk nach China forciert Russland derzeit das Thema der Importsubstitution. In welchen Sektoren müssen wir uns auf eine Verlangsamung und einen Rückgang unseres Exports nach Russland einstellen?Es droht Ihnen keine Verlangsamung des Exports, sondern eine Verschärfung der Konkurrenz. Als wir der WTO beitraten, nahmen wir den Beitritt zur Vereinbarung über staatliche Beschaffungspolitik aus. Das bedeutet, dass Russland das Recht hat, staatliche Beschaffung nur bei russischen Unternehmen oder solchen aus unserer Zollunion zu tätigen. Wenn wir eine solche Warenliste zusammenstellen, dann ist das nicht gegen Exporteure gerichtet, sondern eine “Einladung zum Tanz”, wie wir das im Autmotivsektor gemacht haben. Wir werden Unternehmen nach dem Modell von Kompensationsgeschäften einladen.- Sie haben selber Poroschenko erwähnt, der nun Präsident der Ukraine wird. Sie werden mit ihm also eine gemeinsame Sprache finden?Das ist uns manchmal gelungen. Aber es war, als er Wirtschaftsminister war und nicht Politiker. Ich weiß nicht, was Poroschenko als Politiker darstellt. Einige seiner Aussagen im Wahlkampf machen sehr hellhörig, aber ich unterstelle, dass sie der Konjunktur und dem Wahlkampf geschuldet waren. Ich zähle darauf, dass Poroschenko nach den Wahlen ein abwägender Politiker und ein Mensch sein wird, der ausgewogene Entscheidungen trifft.- Als die Entscheidung zur Annexion der Krim fiel, haben Sie da als oberster Wirtschaftsberater Putins nicht gedacht “Um Gottes willen, wozu denn das noch zu allem Überfluss!”?Wirtschaftlich – also wenn wir von der Politik abstrahieren – ist die Krim ein vorteilhafter Erwerb für Russland. Die Bevölkerung beträgt mehr als zwei Millionen Menschen, und als die Krim bei der Ukraine war, haben sechs Millionen Menschen die Dienstleistungen der ukrainischen Unternehmen auf der Krim genutzt. Im Vorjahr betrug das dortige Budgetdefizit zehn Mrd. Hrywnja. Das vor dem Hintergrund, dass die 17 größten Steuerzahler der Krim, die 70 bis 80 % der Steuerbasis der Krim bilden, ihre Steuern in Kiew gezahlt haben. Wir sehen blendende Perspektiven für die Entwicklung der Krim als Wirtschaftsenklave. Das Territorium kann Mehrwert generieren.—-Das Interview führte Eduard Steiner.