Staatliche Rente

Anspruchsdenken auf Britisch

Britische Frauen fordern Entschädigung dafür, dass sie die Heraufsetzung ihres Rentenalters verschlafen haben. Der Staat droht einzuknicken.

Anspruchsdenken auf Britisch

Anspruchsdenken auf Britisch

Von Andreas Hippin, London

Britische Frauen fordern Entschädigung dafür, dass sie die Heraufsetzung ihres Rentenalters verschlafen haben. Der Staat knickt ein.

Die „Waspi“-Frauen haben in den britischen Rundfunkmedien in den vergangenen Tagen viel Platz eingeräumt bekommen. Denn der für Ministerien, andere öffentliche Institutionen und das Gesundheitswesen zuständige Ombudsmann hat der Kampagne Women Against State Pension Inequality (Waspi) den Rücken gestärkt: Der Staat habe die Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen nicht ausreichend kommuniziert. Nun müsse schnell ein Entschädigungsprogramm aufgelegt werden.

Breit in der Öffentlichkeit diskutiert

Denn wenn in Großbritannien jemand lautstark über erlittenes oder vermeintliches Unrecht klagt, geht es meist um Geld. Doch was steckt eigentlich hinter dieser Geschichte, für die Labour unter Jeremy Corbyn 58 Mrd. Pfund an die Betroffenen ausschütten wollte?

Höhere Lebenserwartung

Als das Rentenalter für Frauen 1995 unter der konservativen Regierung von John Major von 60 auf 65 erhöht wurde, ging es darum, es an das der Männer anzugleichen. Die Entscheidung wurde damals breit diskutiert. Ein Argument war die längere Lebenserwartung von Frauen. Millionen Menschen passten ihre Pläne für die Altersvorsorge entsprechend an. Wirksam wurde die Erhöhung erst 2010. Doch viele in den 1950er Jahren geborene Frauen gingen davon aus, dass sie mit 60 in Rente gehen können, und sorgten nicht für einen späteren Renteneintritt vor.

Lebensabend in Eigenverantwortung

So ist das eben mit dem Rentensystem: Veränderungen vollziehen sich im Schneckentempo. Als das Eintrittsalter 2011 von 65 auf 66 erhöht wurde, wurden dazu Briefe verschickt. Es wird trotzdem vielen Empfängerinnen nicht klar gewesen sein, was das für sie persönlich bedeutet.

Auch in Deutschland werden viele erst bei ihrem Renteneintritt verstehen, wie sich die Reformen der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder auf ihre Altersbezüge ausgewirkt haben. Die Frage ist nur, wer dafür verantwortlich ist.

Entschädigung unangebracht

In Großbritannien handelt es sich bei der staatlichen Rente um eine Sozialleistung von vielen. Sie reicht nicht zum Leben. Eigenverantwortung wird, anders als in Deutschland, nicht nur propagiert, sondern großzügig gefördert. Man darf davon ausgehen, dass viele Waspi-Frauen in einer eigenen Immobilie leben bzw. eine Rente aus privaten Altersvorsorgeplänen oder Beamtenpensionen erhalten. Es wäre falsch, sie auf Kosten der Allgemeinheit schadlos zu halten. Doch der Staat droht einzuknicken. Wer will schon hartherzig erscheinen?

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