Wirtschaftsweise erwarten Rezession

Einbruch im ersten Halbjahr könnte Konjunkturprogramm und weitere Hilfspakete erforderlich machen

Wirtschaftsweise erwarten Rezession

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung kommt in einem Sondergutachten zur Coronakrise zum gleichen Ergebnis wie die meisten Konjunkturforscher: Deutschland schlittert 2020 in die Rezession. Mit ihren Szenarien verbreiten die Wirtschaftsweisen dennoch weniger Schrecken als manche Kollegen. sp/Reuters Berlin – Nachdem die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bereits in der vergangenen Woche ihre teils düsteren Erwartungen für die Wirtschaftsaussichten in Zeiten der Coronavirus-Pandemie vorstellten, hat am Montag der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seine jüngsten Einschätzungen vorgelegt. Wie die meisten Konjunkturforscher arbeiten auch die Wirtschaftsweisen in ihrem Sondergutachten zur Coronakrise wegen der großen Unsicherheit mit Szenarien statt Prognosen. Sicher ist dabei nur eines: Deutschland taumelt in diesem Jahr auf die schwerste Rezession seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 zu, als das Bruttoinlandsprodukt um 5,7 % schrumpfte. Die Sachverständigen plädierten deshalb dafür, dass die Bundesregierung möglichst rasch für Klarheit über die Bedingungen für einen Ausstieg aus den derzeit geltenden Beschränkungen für das Wirtschaftsleben schafft, um Unsicherheit zu reduzieren.Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung, die Unternehmen unter anderem praktisch unbegrenzte Liquiditätshilfen versprochen hat, Soforthilfen in Milliardenhöhe für kleine Betriebe sowie Solo-Selbständige zahlt und auch Beteiligungen an Unternehmen nicht ausgeschlossen hat, erhalten von den Wirtschaftsweisen in ihrem Sondergutachten viel Zustimmung. Dessen ungeachtet gehen die Top-Ökonomen des Sachverständigenrates davon aus, dass eine tiefe Rezession im ersten Halbjahr ein Konjunkturprogramm in der zweiten Jahreshälfte erforderlich machen könnte. Rückgang im BasisszenarioIm Basisszenario der Wirtschaftsweisen schrumpft die Leistung der deutschen Volkswirtschaft im laufenden Turnus um 2,8 % (siehe Grafik). Dabei gehen die Sachverständigen von einer schnellen Erholung im zweiten Halbjahr aus. Im schlimmsten Fall sieht das derzeitig dreiköpfige Beratergremium einen Rückgang um 5,4 % im Gesamtjahr. Die Wirtschaftsinstitute haben in ihren Szenarien in der vergangenen Woche ähnliche Entwicklungen skizziert, wobei der Einbruch im zweiten Quartal zum Teil deutlich stärker erwartet wird. Die Experten des Münchner Ifo-Instituts gehen derzeit von einem Einbruch um bis zu ein Fünftel der Wirtschaftsleistung aus.Bei einem Konjunkturpaket komme es auf das richtige Timing an, damit es auch wie gewünscht wirke, erklärten die Wirtschaftsweisen am Montag in einer Videokonferenz mit Journalisten. “Die Maßnahmen selbst sollten erst mit Auslaufen der Einschränkungen in Kraft treten”, heißt es im Sondergutachten mit Blick auf die derzeit geltenden Beschränkungen im Alltag der meisten Bundesbürger. Wegen der Ansteckungsgefahr steht das öffentliche Leben und auch die Wirtschaft seit bald zwei Wochen weitgehend still.Um die ökonomischen Kosten der Krise zu begrenzen, müsse die Politik Wirtschaft und Verbrauchern bald eine Perspektive für die Zeit nach den Notmaßnahmen bieten, forderten die Wissenschaftler um den Freiburger Professor Lars Feld. Es gelte, Kriterien und den Zeitplan für die gesundheitspolitischen Einschränkungen “in einer Art Normalisierungsstrategie” offenzulegen.Für das richtige Timing von Maßnahmen bedürfe es einer zuverlässigen und breiten Datenbasis: “Dazu zählt etwa eine Ausweitung der Virustests und Echtzeitdaten über Wirtschaftsaktivitäten”, so die Ökonomen. Der Frankfurter Wirtschaftsweise Volker Wieland warnte vor zu langen Einschränkungen: Wenn sich ein “Lockdown” über “vier, fünf oder sechs Monate” hinziehe, schließe man Strategien wie in anderen Ländern aus, in denen nach “einer gewissen harten Phase von einigen Wochen” Teile der Wirtschaft wiederbelebt werden könnten.Wenn die gesundheitspolitischen Maßnahmen über den Sommer hinaus andauern und sich die Konjunktur erst 2021 wieder erholen sollte, müsste die Regierung wohl neue Hilfspakete schnüren. “Die getroffenen Politikmaßnahmen reichen dann womöglich nicht aus, tiefgreifende Beeinträchtigungen der Wirtschaftsstruktur zu verhindern.”