Wo bleiben die 10 000 Banker?
Seit dem 24. Juni ist die Zahl in der Welt, und bis hin zu den Hörern eines neuseeländischen Radiosenders soll sie schon 325 Millionen Menschen erreicht haben. 10 000 lautet die Zahl. Mit einem Zugewinn von mindestens 10 000 Arbeitsplätzen nämlich könne der Finanzplatz Frankfurt als Folge eines EU-Austritts der Briten rechnen. Das hatte Hubertus Väth, Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance, am Morgen nach dem Brexit-Votum, als die vom Ausgang des Referendums auf dem falschen Fuß erwischte Öffentlichkeit noch wie gelähmt schien, geradezu gepredigt, und die Medien – auch wir – griffen die plakative Zahl gerne auf.In den seither vergangenen vier Wochen wurden indes keine Speditionskolonnen gesichtet, die das Interieur ganzer Handelssäle von London in die kontinentaleuropäische Finanzkapitale bugsieren. Weder bei hiesigen Immobilienmaklern noch beim Wohnungsamt stehen angelsächsische Investmentbanker Schlange, die eine Bleibe in der Mainmetropole suchen. Und Pubs wie “The Fox and Hound” nahe der Frankfurter Bankenmeile werden nicht von Expats aus UK überrannt. Jedenfalls nicht mehr als sonst.Es wäre auch reichlich naiv gewesen anzunehmen, dass von jetzt auf gleich eine Massenbewegung der Banker vom künftigen Offshore-Platz London in die “City of the Euro” einsetzt, die neben der EZB schon längst auch wichtige Aufsichtsinstanzen beherbergt. Das so nicht unbedingt zu erwartende Brexit-Votum hat ja erst einmal mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten zu geben, auch was den Wettbewerb der Standorte angeht. Der neue Status des Nichtmitglieds Vereinigtes Königreich – so es dann noch so vereinigt ist wie heute – gegenüber der EU wird wohl erst in einigen Jahren geklärt sein.Insofern dürfte die teilweise fast euphorische Stimmung in der Frankfurter Finanzgemeinde, wie sie etwa in der jüngsten Umfrage des Center for Financial Studies an der Frankfurter Goethe-Universität zum Ausdruck kommt (“Finanzplatz Frankfurt ist großer Profiteur eines Brexit”), den Tatsachen zumindest meilenweit vorauseilen. Finanzplatzförderer Väth hat seine Zahl 10 000, an der er durchaus festhält, aber auch keineswegs im Sinne eines von heute auf morgen zu erwartenden Ansturms in die Welt gesetzt. Sie ist naturgemäß eine sehr grobe Daumenpeilung auf Sicht von vielleicht fünf Jahren. Wie viel Realität in ihr steckt, hängt davon ab, dass zwar nicht 10 000, aber gewiss mehr als zehn Bedingungen eintreten. Zu den wichtigeren gehört, dass das Euro-Clearing nach Frankfurt verlagert wird und nicht etwa nach Paris wandert. Hilfreich wäre zudem sicher, wenn die EU-Bankenregulierungsbehörde EBA von London, wo sie beim Brexit definitiv nicht bleiben kann, nach “Mainhattan” umzöge. Das hätte zweifellos eine Signalwirkung, gerade für asiatische und US-Banken. Über den Sitz der EBA wird freilich politisch entschieden, und für den Zuschlag wird folglich ein politischer Preis zu zahlen sein. Das ist für Deutschland kein aussichtsloses, gleichwohl ein höchst anspruchsvolles Unterfangen. Finanzplatz sowie Landes- und Bundespolitik arbeiten daran.