BEWÄHRUNGSPROBE FÜR DIE GLOBALE HANDELSORDNUNG

WTO unter Beschuss

Die Hüterin des Welthandels muss viel Kritik einstecken - zu Recht?

WTO unter Beschuss

Von Julia Wacket, FrankfurtUS-Präsident Donald Trump hat die Welthandelsorganisation WTO ein “Desaster” genannt, sein Handelsbeauftragter Robert Lighthizer bezeichnete sie als “Streitorganisation”. Es ist nicht das erste Mal, dass die Organisation in der Kritik steht – in ihrer 23-jährigen Geschichte wurde die WTO schon oft angegriffen. Aber mehr denn je stellt sich die Frage: Wo liegen die Stärken und Schwächen dieser für internationalen Handel zuständigen Organisation?Eine der großen Stärken der WTO, die am 1. Januar 1995 ihre Arbeit aufnahm, ist das Streitschlichtungsverfahren, der Dispute Settlement Body (DSB). Handelskonflikte, die nicht bilateral beigelegt werden können, unterliegen einem zweistufigen Schlichtungsverfahren. Hauptakteur ist das Revisionsgremium (Appellate Body). Der Appellate Body besteht aus sieben Richtern, die vom DSB auf vier Jahre gewählt werden. Falls die unterlegene Partei den Empfehlungen des Appellate Body nicht nachkommt, darf die überlegene Partei Sanktionen verhängen. Mehr als 500 Fälle vor GerichtIn der Regel enden Schiedsverfahren aber mit einer gütlichen Einigung. Seit 1995 wurde das Streitbeilegungsverfahren in mehr als 500 Fällen angerufen. In 255 Fällen waren die USA Kläger oder Beklagte. An zweiter Stelle steht die EU mit 181 Fällen. Die offene Struktur des Schlichtungsverfahrens trägt so in der Regel dazu bei, dass die Wirtschaftsmächte ihre Interessenkonflikte nicht in einem offenen Handelskrieg austragen. Der Welthandel selbst wächst seit Gründung der WTO deutlich stärker als zuvor. Davon profitieren auch die Entwicklungsländer. Sie erhalten innerhalb der WTO eine Sonderstellung. So werden ihnen großzügigere Fristen bei Verfahren eingeräumt, und die WTO unterstützt sie mit fachlicher Expertise. Auf den Ministertreffen können sich die Länder zusammentun und ihre Interessen vertreten. So haben 2003 vier afrikanische Länder die Cancun-Verhandlungen blockiert, da sich die USA und die EU weigerten, ihre Subventionen im Baumwollsektor zu reduzieren. Trotzdem nehmen insbesondere die am wenigsten entwickelten Länder in der WTO eine Minderheitsposition ein, da sie nicht die finanziellen Mittel haben, um langfristige Streitschlichtungsverfahren durchzustehen. Die Schwächen der WTO haben vor allem mit ihrem Aufbau zu tun. Anders als der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltbank hat das WTO-Sekretariat kein Geld zu vergeben. An dem Sitz in Genf arbeiten 630 Angestellte. Zum Vergleich: Beim IWF sind es 2 400. Zudem ist die WTO eine von den Mitgliedern gesteuerte Organisation, in der jedes Land eine Stimme hat und Entscheidungen im Konsensverfahren getroffen werden. Sanktionen werden von den Mitgliedstaaten verhängt – nicht von dem Sekretariat. “Wo kein Kläger, da kein Richter”, lautet ein bekanntes Sprichwort. Es passt wie die Faust aufs Auge zur WTO. Nur wenn ein Mitglied sich über die Maßnahmen eines anderen beschwert, nimmt sich die WTO des Falls an.Eine weitere Schwäche der Organisation sind die unterschiedlichen Interessen ihrer Mitglieder. Entscheidungen im Konsens unter 164 Ländern zu treffen, ist fast unmöglich – was sich unter anderem darin zeigt, dass seit 1994 kein multilaterales Freihandelsabkommen mehr abgeschlossen wurde. Die WTO vereint Entwicklungsländer und reiche Nationen unter einem Dach – was Verhandlungen kompliziert macht. Sinnbild ist die Doha-Runde, die 2001 startete und bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Seit Längerem fordern Mitglieder daher, die WTO müsse reformiert werden – etwa mit der Schaffung eines kleineren Exekutivorgans, das verschiedene Ländergruppen repräsentiert. Nötig wäre eine Reform auch, um den Trend zu bilateralen statt multilateralen Abkommen zu stoppen. Doch das ist das Problem der Ära Trump: Zwar zeigt der US-Präsident durchaus die Schwachstellen des Welthandelssystems auf, doch auf Lösungsvorschläge verzichtet er. Trump hat bei China RechtIn Bezug auf die Rolle Chinas in der WTO hat Trump jedoch Recht. Nach wie vor hat das Land den Status eines Entwicklungslandes, obwohl es mittlerweile die zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Welt ist. Auch gegen kalkulierte Regelverletzungen Chinas, etwa bei geistigem Eigentum und dem Joint-Venture-Zwang für ausländische Firmen, unternimmt die WTO nichts. China sollte seine Liberalisierung auf alle Sektoren ausweiten und diesen Zwang komplett abschaffen. Das WTO-Sekretariat muss solche Regelverletzungen stärker überprüfen und dafür mit mehr Macht ausgestattet werden. Nur so kann die Organisation ihre Rolle als Hüterin des freien multilateralen Handels auch richtig erfüllen.