KOMMENTAR

Yes, we can

Großbritannien hat sich gegen Brüssel und Berlin entschieden. Wer hätte von den als Nation der Krämer verschrienen Briten je erwartet, dass sie sich statt für reibungslosen Handel für einen riskanten politischen Wandel entscheiden? Sie haben sich...

Yes, we can

Großbritannien hat sich gegen Brüssel und Berlin entschieden. Wer hätte von den als Nation der Krämer verschrienen Briten je erwartet, dass sie sich statt für reibungslosen Handel für einen riskanten politischen Wandel entscheiden? Sie haben sich dabei weder von einem US-Präsidenten beeinflussen lassen, der schon bald nicht mehr im Amt sein wird, noch von zahllosen Experten, die zwar die Finanzkrise nicht kommen sahen, dem Vereinigten Königreich für den Fall eines Austritts aus der Europäischen Union aber den sicheren Untergang prognostizierten.Das Abstimmungsergebnis ist knapp, aber deutlich genug: Yes, we can. Großbritannien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, tragendes Mitglied der Nato und verfügt über einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat. Das Land schafft es auch allein. Und sollte die EU Handelsbarrieren errichten, kann es auf seine Beziehungen zu den Commonwealth-Staaten zurückgreifen, ein Markt von mehr als zwei Milliarden Menschen.Es ist kein Votum für nationale Kleingeistigkeit. Es ermöglicht die Öffnung zur Welt jenseits der Zollmauern der Festung Europa. Es ist eine Ohrfeige für die herablassende und anmaßende Führung der Kampagne “Britain Stronger in Europe”, die zuletzt versuchte, rund die Hälfte der Bevölkerung in die rechte Ecke zu stellen. Kulturell haben die Menschen in Großbritannien keine Probleme mit den Einwanderern aus Bulgarien, Polen oder Rumänien. Aber auf dem nahezu völlig deregulierten Arbeitsmarkt werden die EU-Migranten gegen gering qualifizierte Briten ausgespielt. Ihre Löhne sinken, ihre Geschäfte können mit selbstausbeuterischen Familienunternehmen nicht konkurrieren. Statt sich damit auseinanderzusetzen, verbreiteten die Befürworter des Verbleibs lieber apokalyptische Szenarien zu den wirtschaftlichen Folgen eines Austritts. Vermutlich glauben sie, alle hätten so viel zu verlieren wie sie und ihre Nachbarn in Londons lauschigsten Wohngegenden, wo sich Larissa aus Plovdiv um die Kinder kümmert und der Anbau an die Küche dank der Maurer aus Litauen so viel billiger kommt. Während in den Wohnvierteln der Wohlhabenden vorwiegend für den Verbleib gestimmt wurde, sprachen sich die Menschen in den klassischen Arbeitervierteln und Armutsregionen für den Austritt aus.Wer glaubt, angesichts des knappen Ergebnisses könne man den Wählerwillen ignorieren, liegt falsch. Das Referendum ist zwar nicht rechtlich bindend, es dürften sich aber nur Abgeordnete dagegenstellen, die ohnehin keine Hoffnungen auf Wiederwahl hegen. Premierminister David Cameron hat bereits seinen Rücktritt angekündigt. Die Position von Schatzkanzler George Osborne wird zunehmend unhaltbar, und auch Notenbankchef Mark Carney gerät unter Beschuss. Es wird lange dauern, die Zerrissenheit des Landes zu überwinden. Boris Johnson, der wohl im Oktober auf David Cameron folgen wird, hat sich bislang eher als Spalter hervorgetan. Nun ist die Fähigkeit zur Versöhnung gefragt.——–Von Andreas HippinDas britische Votum ermöglicht die Öffnung zur Welt jenseits der Zollmauern Europas.——-