Corona-Lockdown

Zaghafter Lichtblick in Schanghai

Eine erste Rücknahme von Ausgangssperren nährt Hoffnungen, dass der harte Lockdown in Schanghai bald endet. Doch der Eindruck könnte täuschen. Und Beobachter befürchten, dass das Vorgehen Schule macht.

Zaghafter Lichtblick in Schanghai

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Eine wachsende Proteststimmung in der Schanghaier Bevölkerung und eindringliche Warnungen vor verheerenden Wirtschaftsfolgen der rigiden Lockdown-Bestimmungen in Chinas führender Wirtschaftsmetropole haben die Behörden zu einer ersten Teillockerung von Ausgangssperren veranlasst. Nach einer Reihe verwirrender und zum Teil widersprüchlicher Ankündigungen zeichnete sich zum Nachmittag eine neue Verordnung mit einem Dreistufensystem zur Einteilung von Stadtvierteln und Wohnanlagen in niedrige bis hohe Risikozonen ab. Basis sind Inzidenzraten und Ergebnisse von bislang sechs Massentestrunden binnen zwei Wochen in der 25-Millionen-Einwohner-Stadt.

Auf Basis der neuen Systematik mit einer Erfassung von insgesamt 18000 Hochhausanlagen und Wohnblöcken werden rund 7500 als Niedrigrisiko eingestuft, weil dort binnen zwei Wochen keine per Test nachgewiesenen Ansteckungsfälle vorlagen. Den Anwohnern ist es nun erstmals wieder gestattet, ins Freie zu gehen und sich nach Möglichkeit im Einzelhandel mit Lebensmitteln einzudecken. Für etwa 2500 Wohnbereiche, die als mittleres Risiko gelten, weil innerhalb der letzten sieben Tage keine Ansteckungen vorlagen, gilt nur eine minimale Lockerung: Be­wohner dürfen sich innerhalb der Wohnanlage im Freien aufhalten. Für die übrigen knapp 8000 als hohes Risiko eingestuften Wohngebiete gilt weiterhin der totale Lockdown samt Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen.

Erste Reaktionen von Marktteilnehmern und Gesundheitsexperten zeigen ein sehr gemischtes Meinungsbild über die Bedeutung der Maßnahmen zwischen hartnäckiger „Nulltoleranzpolitik“ und Rückkehr zur gewohnten Wirtschaftsaktivität im Großraum Schanghai. Auf der einen Seite betonen Analysten, dass selbst eine minimale Lockerung der Bewegungsfreiheit zu einer signifikanten Stimmungsaufhellung beitragen kann, weil „Licht am Ende des Tunnels“ erkennbar wird. Zuletzt hatten sich auch am chinesischen Aktienmarkt wieder Frust und Enttäuschung über die extreme Haltung der Zentralregierung beim Versuch, die Omikron-Welle in Schanghai und anderen Gebieten einzudämmen, breitgemacht. Am Montag rutschte der Blue-Chip-Index CSI 300 für die chinesischen Festlandbörsen wie auch der Leitindex Hang Seng in Hongkong um mehr als 3% ab.

Die Marktteilnehmer befürchten, dass Pekings Kampf gegen Corona, anders als noch vor wenigen Wochen versprochen, nun doch mit einer starren Behördenpolitik verfolgt wird, die keinerlei Rücksicht auf wirtschaftliche Belange nimmt und auch auf Ebene des Gesundheitsschutzes nicht überzeugt. In Schanghai und anderswo hat sich gezeigt, dass die Sondermaßnahmen zu Corona trotz fast ausschließlich milder Krankheitsverläufe zu eklatanten Missständen mit hohen sozialen Kosten in der herkömmlichen medizinischen Versorgung und der Behandlung von anderen Erkrankungen führen.

Andere Stimmen betonen, dass die zaghafte Lockerung der Totalsperre denkbar wenig dazu beitragen wird, die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen zu lindern. Ihr Argument: Die Lockerung erlaube keine Wiederaufnahme eines regulären Produktionsbetriebs in der Industrie und lindere gravierendere Lieferkettenstörungen, die landesweit ausstrahlen, nicht entscheidend. Vielmehr ist zu befürchten, dass die nun gewählte Systematik in Schanghai dazu führt, dass Wohngebiete beim Aufkommen einzelner Ansteckungsfälle umgehend wieder abgeriegelt werden und das Warten auf niedrigere Inzidenzen sich immer weiter verlängert.

Letztlich droht eine Verschleppungsproblematik mit langfristigen Wirtschaftsbeeinträchtigungen, die auch für andere Metropolen gelten könnte, in denen sich eine erste Omikron-Ausbreitung abzeichnet. So nehmen Wirtschaftsexperten mit Sorge zur Kenntnis, dass seit Wochenbeginn die südchinesische Metropole Guangzhou erste Massentests und selektive Lockdown-Maßnahmen verordnet und sich eine weitere Vorgehensweise nach Schanghaier Muster abzeichnet.

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